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Die Wundärztin

Die Wundärztin

Titel: Die Wundärztin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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Apothekersgattinnenschuhe klebte die aufgeweichte Erde und erschwerte das Gehen. Der weiche Waldboden ließ sie immer tiefer einsinken. Mehr als einmal war sie versucht, sich einfach an einem Baumstamm niedersinken zu lassen. Etwas stimmte nicht mit ihr. Im Kopf schwindelte es sie, die Übelkeit schwand nicht. Nie zuvor hatte ihr ein Einsatz derart zu schaffen gemacht wie dieser am Slierberg. Wahrscheinlich war es der Schock des toten Vaters wegen. Schon schluchzte sie wieder auf, schmeckte abermals bittere Galle im Mund. Erschöpft erbrach sie sich an einem Baumstamm. Als sich ihre Eingeweide nicht mehr krampften und der Brechreiz abebbte, richtete sie sich auf und horchte in die unheimliche Stille des dunklen Waldes. Die Soldaten beider Seiten hatten sich gewiss in ihre Stellungen zurückgezogen. Keiner wollte sich unnötig den Gefahren der Nacht aussetzen. Bis zum Anbruch des Tages sollte auch sie abwarten. War es erst wieder hell, konnte sie den Weg zurück zu den Kaiserlichen finden und den Franzosen ausweichen. Langsam sank sie an einem breiten Kiefernstamm nieder, schlang den Rock um ihre angewinkelten Beine und hauchte sich mit ihrem eigenen Atem Wärme in die Hände.
    Die Ruhe tat gut. In blinder Verzweiflung war sie vorhin zunächst einfach nur bergab gerannt, hatte gehofft, so irgendwann auf einen Posten der Kaiserlichen zu treffen. Dann aber hatte sie das Gefühl für die Richtung verloren. Angst war in ihr aufgestiegen. Wenn sie Pech hatte, lief sie unten am Fuß des Berges den Franzmännern und ihren Verbündeten, den Weimarischen, in die Arme. Also war sie wieder bergauf gestolpert. Aber auch da bestand die Gefahr, in die Hände der Feinde zu fallen. Mercy und seine Leute hatten sich vor den anrückenden Franzmännern offenbar immer weiter zurückgezogen. Doch wohin? Nein, es war besser, sie ließ es fürs Erste damit bewenden und schöpfte Kraft für den neuen Tag. Ihr Kopf sackte auf die Knie. Sie legte die Arme darum. Das Letzte, was sie wahrnahm, war der Geruch der feuchten Baumwolle, vermischt mit dem Harz, das vom Berühren der Baumrinden an ihren Fingerkuppen klebte.
    Magdalena erwachte, als Stimmen an ihr Ohr drangen. Vorsichtig hob sie den Kopf. Tatsächlich, da waren Menschen. Sie sprachen sogar Deutsch. Das musste nichts heißen, dennoch klopfte ihr Herz schneller. Hoffnung keimte in ihr. Der Morgen dämmerte. Außerhalb des Waldes mochte es bereits viel heller sein. Die dichten Zweige ließen kaum Licht durch. Die ersten Vögel zwitscherten, Tauben gurrten, nicht weit entfernt krähte sogar ein Hahn. Wahrscheinlich lag ganz in der Nähe ein Bauernhof. Auch der Regen hatte nachgelassen. An Magdalenas Platz unter der Kiefer war der Waldboden fast trocken. Die Stimmen kamen näher, ließen sich mehr und mehr unterscheiden. Es waren drei Männer, dessen war sie sich bald sicher. Doch dann erkannte sie den Weimarer Akzent. Fieberhaft suchte sie die Umgebung nach einem besseren Versteck ab.
    »Was haben wir denn da?« Zu spät! Einer der Soldaten hatte sie entdeckt. Wahrscheinlich hatte der helle Rock sie verraten. Im anbrechenden Tageslicht war er leicht zu erspähen. Sie verfluchte ihre Eitelkeit. Warum trug sie nicht mehr den grauen, alten?
    »Keine Bewegung!«, brüllte ein Zweiter und legte mit der Pistole auf sie an. Noch hatten sie also nicht bemerkt, dass sie eine Frau war. Doch das würde ihr nicht helfen. Ein Entkommen gab es nicht, nur einen kleinen Aufschub, in dem die Furcht noch wachsen würde, bis sich die Männer auf ihr wehrloses Opfer stürzten. Bedächtig schob sie sich mit dem Rücken an dem Baumstamm in die Aufrechte, tastete mit den Fingerspitzen die Rillen der Rinde hinauf. Das Harz verklebte alles. Goldene Tropfen wie Bernstein. Sie musste auf einmal lächeln, trotz der Gefahr. Die Übelkeit schwand, sie fühlte sich kräftiger. Zum Zeichen, dass sie unbewaffnet war, hob sie die Hände.
    Die drei Soldaten trugen die Armbinden der Weimarer. Kurz durchzuckte sie die Idee, sich die Schnur mit dem Bernstein vom Hals zu reißen und weit fortzuschleudern. Vielleicht lenkte das die Männer ab. Wertvoller Schmuck mochte in ihren Augen mehr wert sein als das kurze Vergnügen mit einer hilflosen Frau. Noch während sie darüber nachdachte, rumorte es wieder heftiger in ihrem Bauch, und sie brachte es nicht über sich, den Stein zu opfern.
    »Ein Weibsbild!«, jauchzte der Erste auf.
    »Ich fass es nicht!«, rief der Zweite.
    »Die gehört mir! Ich hab sie zuerst entdeckt.« Der

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