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Die Wundärztin

Die Wundärztin

Titel: Die Wundärztin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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vor sich. Dann brach sein Blick, und er kippte jäh nach hinten.
    Behutsam bettete Magdalena ihn zurück auf die Trage und strich ihm die Augen zu. Eine eisige Faust umklammerte ihr Herz. Nicht allein das grausige Sterben ließ sie erschauern. Den nahen Tod vor Augen, hatte der Vater sie ausgerechnet vor dem Mann gewarnt, den sie mindestens ebenso liebte wie ihn. Wie konnte er von ihr verlangen, ihn zu vergessen? Sie würde es nicht ertragen, nach dem Tod des geliebten Vaters auch Eric zu verlieren. Beide waren ihr die liebsten Menschen. Nein, unmöglich, des Vaters letzte Bitte zu erfüllen und von Eric zu lassen. Das würde sie nicht überleben! Sie war froh, dass er gestorben war, noch bevor sie ihm den Schwur hatte leisten können. Ihr Magen krampfte sich zusammen. Bitter stieg ihr die Galle auf. Sie schluckte und würgte, fühlte, wie ihr die Sinne schwanden. Hastig presste sie die Hände auf den Leib. Taumelnd erhob sie sich, ging ein paar Schritte zur Seite und erbrach sich, bis sie sich völlig leer fühlte. Eric vergessen – warum verlangte der Vater das von ihr?
    Ihre Hände zitterten, als sie sich das verschwitzte rote Haar aus dem Gesicht strich, das spitze, zarte Kinn trocknete. Sie erinnerte sich daran, wie Eric damals zu ihnen gestoßen war, wie er sie gerettet hatte aus der brennenden Stadt, sie begleitet hatte ins Lager. Eine mittellose Waise war er gewesen, die bei dem Fall Magdeburgs alles verloren hatte: seine Familie, sein Zuhause, seinen Besitz. Schutz hatte er im Tross gesucht und gefunden. Es war die einzige Möglichkeit, in Zeiten wie diesen weiterzuleben. Ein neuerlicher Stich fuhr ihr durchs Herz: Der entsetzte Blick, mit dem der Vater Eric damals angesehen hatte, stand ihr wieder vor Augen. Blass wie ein Leintuch war er geworden, als stünde der Teufel vor ihm. Trotzdem hatte er sich später seiner erbarmt und ihn zu Meister Rott, dem Zimmermann, gebracht, damit er einen festen Unterschlupf im Tross fand. Ein seltsamer Zufall, dass Eric und sie sich vor wenigen Monaten wiedergetroffen und ihre große Liebe zueinander entdeckt hatten. »Vorsehung«, hatte sie es genannt und wusste auch jetzt, dass es gegen den letzten Willen ihres Vaters ihr Schicksal war, an Eric festzuhalten. Ihre Wangen wurden nass vor Tränen. Sie schmeckte das Salz, wenn sie sich mit der Zunge über die Lippen fuhr.
    Unter großer Anstrengung gelang es ihr, zu dem Leichnam des Vaters zurückzukehren und mit gesenktem Blick ein Gebet für ihn zu sprechen. Ein letztes Mal berührte sie sein Gesicht und streichelte zärtlich seinen Arm. »Gott schenke dir eine fröhliche Auferstehung«, murmelte sie und hoffte, dass seine Seele im Jenseits angekommen war. Die sterblichen Reste würde sie irgendwo begraben müssen. Zu schrecklich war die Vorstellung, sie schutzlos zurückzulassen. Aber wo? Und wie sollte sie das ohne Hilfe bewerkstelligen? Ein Musketenschuss schreckte sie auf. Die kämpfenden Soldaten kamen zurück. Wieder suchten ihre Finger nach dem Bernstein. Ihr Herzschlag wurde ruhiger, sobald sie die Wärme des Steins fühlte. Nein, Eric würde sie nie verlassen. Der Vater hatte geirrt: Eric war gewiss der Letzte, der sie ins Verderben führen würde.
    7
    Wie und wann sie aus dem Bauernhaus gelangt war, daran konnte sich Magdalena später nicht mehr erinnern. Sie wusste nur noch, dass sie lange betend neben dem toten Vater gesessen und auf irgendein Zeichen gewartet hatte, was sie mit der Leiche tun sollte. Schließlich waren die Geräusche der Kämpfenden in die Ferne gerückt. Bald darauf hatte sie den Leichnam des Vaters aus dem Gehöft gezerrt, ihn in die Grube neben dem Stall geworfen und notdürftig mit Erde und Stroh bedeckt. Inständig hatte sie ihn und auch den Allmächtigen um Verzeihung für das unwürdige Grab gebeten. Aber ein Grab in der Jauchegrube war allemal besser, als gefleddert zu werden, sobald Marodeure das Bauernhaus fanden. Nach einem kurzen Gebet im strömenden Regen hatte sie das Gehöft schließlich verlassen.
    Inzwischen war es finstere Nacht. Verloren irrte sie durch den Wald. Selbst durch die dichten Zweige der Tannen und Kiefern war der Regen zu spüren. Ein scharfer Wind heulte zwischen den riesigen Baumstämmen. Magdalena war nass bis auf die Knochen und fror. Die Locken klebten strähnig am Kopf. Das Tuch hatte sie sich zum Wärmen um den Hals gebunden, was aber nur für kurze Zeit nutzte. Mieder und Rock trieften vor Nässe. An den Sohlen ihrer viel zu feinen

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