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Die Wundärztin

Die Wundärztin

Titel: Die Wundärztin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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gutgehen.«
    Innig umarmte er sie. Sie spürte die Kraft seiner Muskeln und das gleichmäßige Pochen seines Herzens und fühlte sich geborgen. Wie hatte der Vater sie nur vor einem solchen Beistand warnen können? Eric war nicht ihr Verderben, er war ihre Rettung, wie sie gerade wieder erlebt hatte. Wie gut, dass sie dem sterbenden Vater den Schwur schuldig geblieben war.
    »Der Wurf mit dem Holzstück war großartig.« Ihre Stimme klang heiser. Verlegen räusperte sie sich.
    »Nicht umsonst arbeite ich als Zimmermann. Was glaubst du, womit wir uns die Zeit vertreiben, wenn wir mal nicht schanzen müssen?« Verschmitzt zwinkerte er ihr zu.
    Gern hätte sie den Moment weiter ausgekostet. Seine Gegenwart tat so gut und tröstete sie über allen Schmerz hinweg. Schon schmiegte sie sich enger an ihn. Er aber drängte zum Aufbruch. »Nicht hier. Heute Nacht haben wir wieder unseren Heuboden. Der ist mir allemal lieber als diese halbzerschossene Mühle, wo jederzeit ein Franzmann auftauchen kann.«
    »Dass du so vernünftig sein kannst!«
    »Man soll sein Schicksal nicht unnötig herausfordern.«
    8
    Der Regimentsprofos Hagen Seume hatte es sich nicht nehmen lassen, Babette die traurige Nachricht vom Ableben ihres tapferen Gatten persönlich zu überbringen.
    Seitdem herrschte Stille im Schlafgemach. Einzig das Surren einer dicken Fliege war zu hören, bis das Mittagsläuten an der nahen Martinskirche begann. Bald stimmten weitere Kirchenglocken in das Geläut ein. Die Sonnenstrahlen, die durch die halbgeöffneten Vorhänge fielen, warfen goldenes Spätsommerlicht auf den Dielenboden. Der Geruch von sonnengewärmtem Holz und reifem Obst mischte sich mit dem Duft von Babettes Lavendelstrauß.
    Besorgt äugte Elsbeth zur Tante, die halb aufgerichtet, aber immer noch reglos in ihren Kissen verharrte. Elsbeth war auf das Schlimmste gefasst. Sollte die Tante zusammenbrechen, stand sie nahe genug, ihr helfend beizuspringen. Sie sollte wissen, auf wen sie im Angesicht eines solchen Schicksalsschlags zählen konnte. Der Säugling lag kaum sichtbar an Babettes Brust, Gott sei Dank zu winzig, etwas von der Tragweite des Geschehens für sein weiteres Leben ahnen zu können. Die Tante spitzte mehrmals den Mund, als wollte sie etwas sagen. In Elsbeths Körper spannten sich die Muskeln. Gebannt sah sie in das runde Gesicht, das vor der weißen Bettwäsche umso blasser wirkte. Doch Babette schwieg.
    Seume hielt sich direkt neben dem Bett, den breiten Hut in der rechten Hand, die linke auf dem Säbelknauf. Trotz seines anmaßenden Habitus war ihm anzumerken, wie nah ihm der Tod des langjährigen Freundes und Zechkumpans ging. Anders war nicht zu erklären, dass er sich nach der erschöpfenden Slierbergschlacht noch auf den Weg gemacht hatte, um die Mitteilung höchstpersönlich zu überbringen. Magdalena hatte ihn gleich nach ihrer Rückkehr über den Unglücksfall informiert, das wenig ruhmvolle Grab in der Jauchegrube allerdings verschwiegen.
    Seine klobige Figur wirkte gedrückt, der breite Schädel regelrecht in die Schultern eingesunken. Selbst der sonst so weit vorragende Bauch schien erschlafft. »Im furchtlosen Kampf gegen den gottlosen Feind hat es ihn übel erwischt. Gott hat ihm jedoch noch die Gnade gewährt, sein ihm wohlgefälliges Leben im Angesicht Eurer braven Tochter auszuhauchen«, sagte er, noch einmal denselben Satz wiederholend, den er inzwischen schon mindestens dreimal von sich gegeben hatte. Babette schien es nicht aufzufallen. Leer starrte sie geradeaus, auf einen nur für sie sichtbaren Punkt irgendwo auf der gegenüberliegenden Wand. Nicht einmal das greller werdende Sonnenlicht, das über ihr Gesicht wanderte, brachte sie zum Blinzeln.
    »Gott schenke ihm eine fröhliche Auferstehung«, murmelte Seume und bekreuzigte sich.
    »Wenigstens war er im Sterben nicht allein.« Leise räusperte sich Elsbeth und hoffte, dass der Trost, den sie Babette spenden wollte, die ersehnte Wirkung erzielte.
    »Als ob das Weib ihm noch hätte helfen können.« Wutschnaubend schoss die Tante aus den Kissen empor. »Die wird schon ihren Grund haben, sich nicht bei mir blicken zu lassen. Oder habt Ihr meine Tochter irgendwo gesehen, mein lieber Seume?«
    Gebannt blickte sie auf den Profos. Der senkte den Kopf und betrachtete angestrengt seine Stiefelspitzen. Offenbar beschämte es ihn, ihr auch zu Magdalena nichts Gutes sagen zu können.
    »Wusste ich es doch!« Babette geriet in Fahrt. Laut zeterte sie weiter: »Nicht mal dem

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