Die Wundärztin
Decke wieder über die Brust. Seume entfuhr ein bedauerndes Seufzen.
»Sie wird schon wissen, warum. Vorerst ist sie drüben bei mir und schläft sich aus. Das alles war schlimm genug für sie.« Roswitha dachte nicht daran, auf Babettes versteckte Eifersucht einzugehen. Wie immer fühlte diese sich von Magdalena schlecht behandelt. Stattdessen beschäftigte sie sich damit, Fritzchen in frische Leintücher zu wickeln.
Babette besann sich wieder auf ihre Rolle als trauernde Witwe. »Was wird überhaupt jetzt aus uns?«
Mit großen Augen sah sie Seume an. Den Kopf leicht schräg gelegt, rang sie sich ein schmerzliches Lächeln ab und drehte gedankenverloren die Schnur an ihrem Nachthemd, was seine Wirkung nicht verfehlte. Diensteifrig buckelte er. »Keine Sorge, Verehrteste, ich lasse Euch nicht im Stich. Das bin ich Eurem Gatten wohl schuldig. Mehr als zwei Jahrzehnte war er ein treuer Söldner der kurfürstlich bayerischen Armee und außerdem mein Freund.«
»Das will ich meinen!« Babette fiel ihm ungeduldig ins Wort. »Seit Ulm ist er schon dabei, das wisst Ihr so gut wie ich. Sold aber hat er in all den Jahren nur äußerst selten bekommen. Besteht wenigstens jetzt die Aussicht, dass man mir etwas zahlt? Sonst weiß ich doch gar nicht, wie ich zurechtkommen soll, gerade so kurz nach der Geburt unseres Sohnes. Ach, wenigstens war meinem armen Gatten noch das Glück vergönnt, den Kleinen auf den Armen zu halten. Gott schenke ihm eine fröhliche Auferstehung!« Theatralisch ausholend schlug sie das Kreuz auf der Brust.
»Was ist mit deinem Bruder in Köln? Warum gehst du nicht zu ihm?« Stolz auf diesen Einfall, zupfte Elsbeth am Ärmel des blütenweißen Nachthemds der Tante. Mit einem »Lass mich!« schüttelte die sie verärgert ab.
»Macht Euch keine Gedanken«, Seume drückte wichtigtuerisch seine Brust heraus, »höchstpersönlich werde ich …«
»Pah! Das will ich sehen, mein Lieber!«, krächzte Roswitha dazwischen, die soeben mit dem frisch gewickelten Kind in den Armen zurück ans Bett trat. Laut lachte sie auf. Fritzchen hob kurz den Kopf, verzog das knitterige Gesichtchen zu einer Grimasse und verharrte mitten in der Bewegung, um sogleich friedlich weiterzuschlafen.
»Wollt Ihr etwa höchstpersönlich dem Kurfürsten die Truhen mit Gold rauben, damit die arme Babette ein paar Gulden sieht?« Dass sie einen ranghohen Offizier vor sich hatte, hielt Roswitha nicht davon ab, ihre Meinung offen kundzutun. »Wenn ich das recht überblicke – immerhin kenne ich viele Söldnerfamilien –, hat bislang kaum einer je seinen vollen Sold bekommen, erst recht nicht, wenn er das Pech hatte, auf dem Feld der Ehre zu bleiben. Die Witwen lässt der Herr Kurfürst gern im Regen stehen. Können sich ja als Trosshuren verdingen, dann haben die anderen auch was davon!« Höhnisch lachte sie auf. »Am Ende kann einer schon von Glück sagen, wenn er nach dem Ehrentod wenigstens halbwegs angezogen in ein ordentliches Grab gelegt wird. Die meisten Toten enden doch splitternackt als Fraß für die Krähen. Viel Aufhebens macht jedenfalls keiner um die Leichen, sobald ihnen alles Brauchbare wie Stiefel, Hosen und Rock abgenommen ist. Sind sowieso immer viel zu viele, die nach einer Schlacht herumliegen.«
»Red nicht so dumm daher, altes Weib!« Verärgert setzte Seume sich seinen Hut auf und schob die Hebamme beiseite. »Kannst froh sein, dass ich um deine Verdienste als Wehmutter weiß, sonst würde ich dich jetzt für dieses respektlose Verhalten an den Pranger stellen.« Hastig verabschiedete er sich von Babette, drängte Elsbeth grob beiseite und eilte hinaus.
Roswitha wartete kaum ab, bis sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, bevor sie weiterblaffte: »Wollen wir hoffen, dass es deinem Mann nach dem Sterben nicht so übel ergangen ist wie den anderen. Vielleicht hat sich doch einer seiner armen Seele erbarmt und ihn wie einen ordentlichen Christenmenschen unter die Erde gebracht.«
»Halt endlich deinen Mund! Wenn ich Pech habe, hast du mir gerade alles verdorben.«
»Was sagt denn Magdalena?« Elsbeth fasste sich als Erste wieder. »Sie war doch bei ihm, als er starb. Hat sie ihm denn kein Grab schaufeln können?«
»Wie denn, als Frau, allein im Schlachtgetümmel?« Roswitha warf ihr einen verächtlichen Blick zu. »Da sieht man es wieder: Selbst wer wie du sein ganzes Leben im Tross verbringt, hat noch lange keine Ahnung, was bei so einem Gefecht wirklich los ist. Einen Tag solltest du mal da
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