Die Wundärztin
unter diesen Umständen. Magdalena dagegen kommt hier schon klar. Anders als du ist sie für das Trossleben geschaffen.«
9
Vergebens wartete Magdalena in den folgenden Nächten auf dem Heuboden. Roswitha hatte nichts dazu gesagt, dass sie kurz nach ihrer Rückkehr gleich wieder verschwunden war. Doch Eric tauchte nicht auf. Wieder und wieder spähte sie durch die Luke im Giebel, durchstreifte schließlich sogar die Ställe und angrenzenden Verschläge in der Unterkunft der Zimmerleute. Eine gespenstische Stille lag über allem. Niemand begegnete ihr, keine Nachricht erreichte sie. Besorgt suchte sie schließlich in der näheren und weiteren Umgebung nach Erics Meister Antonius Rott. Ihn aber fand sie ebenso wenig wie die beiden anderen Gehilfen des Zimmermanns.
»Die Zimmerleute sind nicht die Einzigen, die nach der Schlacht oben auf dem Berg spurlos verschwunden sind«, erklärte ihr ein zahnloser Soldat, der sich drei Häuser weiter in einem kleinen Hof neue Kugeln für seine Muskete goss. An der Behendigkeit, mit der er zu Werke ging, erkannte sie, dass er weitaus jünger sein musste, als sein zerfurchtes Gesicht und die spärlichen Haare auf dem vernarbten Schädel vermuten ließen. Wahrscheinlich hatte er dem Tod im letzten Moment entrinnen können und als Preis für sein Weiterleben die Jugendlichkeit opfern müssen. Nicht einmal der Anblick einer einsamen Frau, der sonst selbst den müdesten Lenden der Greise Lebendigkeit verlieh, schien bei ihm Wirkung zu zeigen.
»Hast du nicht mitbekommen, dass wir nur deshalb gesiegt haben, weil Mercy die Heilige Jungfrau um Beistand angefleht hat?« Er trat näher an sie heran und sprach leiser, als gelte es, ihr ein großes Geheimnis anzuvertrauen. »Ihr zu Ehren lässt unser Feldherr oben auf dem Slierberg eine Kapelle bauen. Aussehen soll sie wie die Santa Casa in Loreto. Wahrscheinlich sind die Zimmerleute da oben und werkeln schon kräftig mit Hammer und Axt. Sag aber niemandem, dass du das von mir weißt. Scheint noch ein Geheimnis zu sein.«
»Danke«, beeilte sich Magdalena zu sagen und wollte fort. Auf dem Slierberg würde sie Eric rasch finden. Der Zahnlose hielt sie am Arm zurück. »Ich an deiner Stelle würde nicht da hinaufgehen. In den Wäldern treiben sich immer noch die Franzmänner rum. Die werden sich freuen, einen Rock wie deinen zu finden. Ehe du dich versiehst, spreizen sie dir die Beine und lassen dich teilhaben an ihrer Seuche. Die edlen Herren aus dem Westen teilen nun einmal gern alles mit uns, vor allem ihre Krankheiten. Verfluchte Hunde!«
Zornig ballte er die Hand und fuchtelte damit wild durch die Luft. Da begriff sie, wo er seine Jugend verloren hatte: nicht im mutigen Gefecht auf dem Feld, sondern im Bett, im schmachvollen Kampf gegen die französische Seuche. Sosehr er das offensichtlich bereute: Von so manch anderem hatte die Seuche weitaus mehr als nur Zähne und Haare gefordert.
»Wie lang werden die für die Kapelle wohl brauchen?«, fragte sie. »Wir müssen doch weiter, den feigen Franzmännern hinterher. Es kann doch nicht sein, dass wir hier in Freiburg hocken und fromme Häuser bauen, während die in den Vogesen neue Kräfte sammeln, um uns wieder anzugreifen.«
»Sag das mal unserem allerhöchsten Feldherrn, dem Kaiser! Mercy und von Werth wollten den Fliehenden nachsetzen. Von ganz oben wurden sie zurückgepfiffen: Die Stadt wäre ohne Schutz, hieß es. Also haben sich die Unsrigen wieder hinter den Wall zurückgezogen. Zähneknirschend müssen sie den nächsten Befehl abwarten. In jedem Fall muss die Stellung hier gehalten werden, koste es, was es wolle. Stell dir vor, die Franzosen haben den Sieg einfach für sich reklamiert! Dabei haben die oben am Slierberg mehr Seelen verloren, als in einer einzigen Nacht in Paris geboren werden.«
Zornig funkelten die hellgrauen Augen in seinem blassen Gesicht. Magdalena schüttelte seine Hand ab. Schaudernd dachte sie an ihr Erlebnis mit den drei Soldaten letztens im Wald. Noch einmal wollte sie das Schicksal nicht herausfordern. Also wartete sie lieber bei Meister Johann in der Apotheke auf Erics Rückkehr. Wenn die Soldaten sich dort mit Branntwein versorgten, erfuhr sie als eine der Ersten wichtige Neuigkeiten. Gewiss würden sie erzählen, wenn die Kapelle fertig war und die Zimmerleute heimkehrten.
Über dem Anrühren von Salben und dem Mischen von Arzneien vergingen die Tage. In der Offizin an Rupprechts Seite und mit dem Feldscher zu arbeiten, fand Magdalena allemal
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