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Die Wundärztin

Die Wundärztin

Titel: Die Wundärztin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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abgeführt hat. Weiß der Teufel, was die mit denen vorhaben. Nach dem Gemetzel letztens bestimmt nichts Gutes.« Verächtlich spuckte er vor ihr auf den Boden, wischte sich laut schniefend den triefenden Mund und schlurfte davon.
    »Hör auf mit deinen Hirngespinsten!«, rief sie ihm nach. »Die Franzmänner haben sich längst verzogen und wagen es nicht, einem von uns zu nahe zu kommen, geschweige denn, ihn mitzunehmen.«
    Als der Mann verschwunden war, kroch sie auf den Heuboden hinauf. Dort würde sie warten, bis Eric zurückkehrte. Lange konnte das nicht dauern. Sie rief sich seinen Anblick ins Gedächtnis, seine geschwungenen blonden Wimpern, die tiefgründigen blauen Augen. In Gedanken war er stets bei ihr, wo immer er auch stecken mochte. Warm flutete es durch ihren Körper. Beruhigt sank sie ins Heu und schlief ein.
    10
    Doch auch am nächsten wie auch am übernächsten und am darauffolgenden Morgen erwachte Magdalena stets allein. Eric kehrte ebenso wenig zurück vom Slierberg wie die anderen Zimmermannsgesellen. Sosehr sich Magdalena dagegen sträubte: Sie gewöhnte sich mehr und mehr an den Zustand des Wartens, wie sie sich schon an so vieles in ihrem Leben gewöhnt hatte.
    Über Wochen saßen die Heere beider Lager nun schon in der Freiburger Gegend fest. Vor allem die Dörfer im Süden und Westen der Stadt hatten nicht nur die Last des Gemetzels zu tragen: Wie Heuschrecken fielen Tausende Soldaten und ein Vielfaches an Trossleuten über die Getreidespeicher und Vorratskammern her. Es war immer wieder das gleiche Spiel: Erst gab es in den Quartieren, die das kaiserliche Regiment für sich reklamierte, alle erdenklichen Vorräte im Überfluss, dann fraßen Söldner und Tross im Handumdrehen alles kahl. Auf ihrem morgendlichen Gang quer durch die Stadt zum Apothekerhaus konnte Magdalena beobachten, wie die Lage von Tag zu Tag schlimmer wurde: Hatte vor einiger Zeit noch reges Feilschen und Handeln der Marketender, Söldner und Weiber das Treiben rund um das Münster bestimmt, so wurden die Rufe, mit denen sie nun ihre Waren feilboten, stetig leiser. Kaum einer wollte mehr Tand kaufen, alle hatten nur noch eines im Sinn: etwas zu essen zu bekommen. Die Preise für Brot und Korn stiegen ins Unermessliche, kaum einer hatte noch Nahrungsmittel im Angebot, während die Preise für einst so begehrte Beutestücke wie Hausrat und Zinn ins Bodenlose stürzten. Davon gab es schließlich mehr als genug.
    Was aber nützte das prächtigste Tafelsilber, wenn man nichts auf dem Teller liegen hatte, um es zu benutzen? Nicht einmal ein schöner Rock oder ein feinbesticktes Halstuch rief noch Freude hervor. Dagegen fanden selbst die dürrsten Hühner oder eine verschimmelte Speckschwarte gierige Abnehmer, auch wenn dafür ein Dutzend Taler verlangt wurde. Das Einzige, was günstig blieb und nie auszugehen schien, war der Branntwein. Außerdem boten sich mehr und mehr Huren immer billiger an, um die hungrigen Mäuler ihrer Lieben zu stopfen.
    Der Alkohol und die aussichtslose Lage, in der sich letztlich jeder befand, taten ein Übriges, dass es nicht allein bei solcher Hurerei blieb. Bald wurde an allen Straßenecken zu jeder Tages- und Nachtzeit ausgelassen gespielt, getanzt, gesungen und geliebt. Anderes hatte man schließlich nicht mehr. Solange keiner wusste, was der nächste Tag brachte, wollte man das Leben im Jetzt in vollen Zügen genießen.
    Magdalena ahnte bereits, bei wie vielen Männern und Frauen sie bald wieder die ersten Zeichen der Franzosenkrankheit behandeln musste. Eben erst hatte sie bei einer Frau ein auffälliges Knötchen an der Scheide entdeckt, drei weiteren gingen bereits die Haare aus, eine fünfte kämpfte mit hohem Fieber und Wahnvorstellungen. Rupprecht und Meister Johann hatten von einigen männlichen Patienten mit den gleichen Anzeichen berichtet. Roswitha dagegen hatte erzählt, dass sie nach Haselwurz und anderen Tinkturen gefragt worden war, die die monatlichen Blutungen fördern oder die ungewollte Leibesfrucht gleich radikal austreiben sollten. Ein Wunder, dass der Mangel die Fruchtbarkeit nicht eindämmte!
    Verdorbene Mägen, Durchfall und Hautausschläge galten schon als harmlose Erscheinungen, die es fortan auch immer häufiger zu behandeln gab. Aus purer Not gingen die meisten Frauen dazu über, Sägespäne unter den Brotteig zu mischen und Dreck in die Suppe zu werfen. So gewann die dünne Brühe im Kessel wenigstens etwas an Farbe und Festigkeit. Manch unbekanntes Kraut oder

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