Die Wundärztin
zu Boden fiel. Trotz des Lärms aber regte sich in der Offizin nichts. Befremdet blieb Magdalena vor dem schweren Tresen stehen und wartete, bis sich ihre Augen an das dürftige Licht gewöhnt hatten. Dabei wanderte ihr Blick über die Regale mit den Kräutervorräten. Die Reihen mit den Schraubgläsern und Tonkrügen hatten sich in den letzten Tagen stark gelichtet. Auch die Büschel mit Minze fehlten. Schwach nur ließ sich der Geruch noch erschnuppern.
Beunruhigt ging sie in das Laboratorium, doch auch hier empfing sie lediglich bedrückende Stille. Niemand machte sich an den Destilliervorrichtungen oder sonstigen Geräten zu schaffen, keiner rührte Salben an oder probierte neue Rezepturen aus. Der Abmarsch von Heer und Tross musste unmittelbar bevorstehen, anders war es nicht zu erklären, dass weder der Feldscher noch sein Gehilfe, nicht einmal der Apotheker in der Offizin anzutreffen waren. Wahrscheinlich waren alle drei damit beschäftigt, Meister Johanns Planwagen auf der rückwärtigen Gasse mit all den wertvollen Kräutern, Tinkturen und Essenzen zu füllen, die sie von hier zum nächsten Gefechtsort fortschleppen wollten.
Noch während sie darüber nachsann, ob sie nachsehen sollte, erhoben sich im angrenzenden Hof laute Stimmen. Eine Frau schien sich mit einem Mann zu streiten. Im nächsten Moment flog die Hintertür auf, und ein junges Fräulein stürmte herein, dicht gefolgt von dem Apotheker. Sie schienen Magdalena nicht zu bemerken, die vor dem schmalen Regal an der Seitenwand im Halbdunkel stand. Unwillkürlich presste sie sich noch enger dagegen und beschloss, erst einmal zu lauschen, worum es bei der Auseinandersetzung ging.
»Bild dir nicht ein, ich heirate diesen Hagestolz! Keinen Tag halte ich das in seinem Haus aus.« Die junge Frau nestelte am Kopftuch, bis sie die Zipfel unter dem Kinn gelockert hatte. Sobald sie das Tuch abgenommen hatte, schüttelte sie die Haare auf und fuhr mit den Fingern durch die borstigen Strähnen, bis die braunen Locken ihr Haupt munter umsprangen. Erst als sie den Kopf wieder ruhig hielt, wurde Magdalena sich der Ähnlichkeit bewusst, die die Gesichtszüge des jungen Fräuleins mit denen des Apothekers aufwiesen. Offensichtlich handelte es sich um seine Tochter, die sich da gerade in ihren Unmut hineinsteigerte: Sie hatte die gleiche, leicht nach oben ragende Nase, die gleiche Kinnpartie und eine ähnliche Art, durch herabgezogene Mundwinkel Missfallen zu bekunden, wie der weißhaarige Apotheker.
»Wie redest du über deinen künftigen Ehemann? Du kannst von Glück sagen, dass er dich in Zeiten wie diesen überhaupt zum Altar führen will.«
»Das Glück ist wohl eher auf deiner Seite. Oder soll ich dir vorrechnen, welche Vorteile du dir durch meine geplante Verbindung mit dem Stadtkämmerer sicherst?« Die junge Frau stemmte die Hände in die Seiten und maß den Apotheker mit abschätzigem Blick. Die beiden waren nahezu gleich groß, wobei die Tochter imposanter wirkte, weil ihr Körper weitaus üppiger als der ihres hageren Vaters war.
»Nicht zu glauben, wie gewissenlos du mich verschacherst. Dass Mutter das zulässt!« Noch einmal schüttelte sie vehement den Kopf, da holte der Apotheker blitzschnell aus und versetzte ihr eine schallende Ohrfeige. Verblüfft hielt sich die Tochter die brennende Wange.
»Du vergisst wohl, was dir ansteht: dich brav und sittsam in das zu fügen, was wir für dich arrangiert haben. Jedes andere Mädchen in Freiburg würde sich glücklich schätzen, eine solche Partie zu machen.«
»Wenn ich aber nicht will? Vater, begreif doch: Ich kann das nicht! Ich kann diesen eigenartigen Kauz nicht heiraten und künftig seine Ehefrau spielen. Ich bin für ein solches Leben nicht geschaffen! Mir wird übel, wenn ich nur daran denke, was mir bevorsteht.«
»Was stellst du dir denn vor? Wofür ist dein Geschlecht denn geschaffen: um als Gattin und Mutter den Haushalt zu führen! Du wirst diesen angesehenen, rechtschaffenen Mann heiraten. Gebildet ist er obendrein. Was glaubst du, warum deine Mutter und ich in den letzten Wochen alles darangesetzt haben, deine Ehre zu bewahren? Warum wir dich oben auf dem Dachboden versteckt und dem Lumpenpack nie gezeigt haben? Damit keiner dieser Soldaten sich an dir vergeht und deine Zukunft zerstört. Schau dich doch um: All meine Schätze musste ich diesem Söldnerpack in den gierigen Schlund werfen, um deine Unschuld zu beschützen. Das alles zerrst du jetzt in den Dreck und stellst uns durch
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