Die Wundärztin
nahm sie Fritzchen und wickelte ihn mit geübten Handgriffen aus den Windeln. Aufmerksam untersuchte sie, wie er sich entwickelte. Sein Bäuchlein war weich und rund, der Nabel gut verheilt. Sanft liebkoste sie ihn, wischte ihn sauber und bestrich die wunde Haut am Po mit rotem Johanniskrautöl.
Wie erwartet, wurde Babette darüber ungeduldig. Des Lesens war sie nicht mächtig. Vielleicht hatte ihr also doch noch niemand das Schreiben vorgelesen, und sie wusste ebenfalls noch nicht, was der Bruder nach so vielen Jahren mitzuteilen hatte.
»Du musst ihn mir nicht vorlesen.« Babette lächelte triumphierend. »Die Feldwebelin hat das eben höchstpersönlich schon getan.«
Ihr Blick spiegelte deutlich den Stolz wider, dass eine hochgestellte Frau sie im Kindbett aufsuchte, mehrfach sogar, weil der Tod eines so langgedienten Soldaten wie des Vaters selbst angesichts der zahlreichen anderen Toten für Aufsehen sorgte. Ungeduldig bedeutete sie Magdalena, ihr den noch nackten Säugling zu reichen, und machte sich selbst daran, ihn in frische Leintücher zu wickeln. Zwischen die riesigen Kissen gebettet, schlummerte Fritzchen alsbald ein.
Magdalena trat mit dem Brief ans Fenster. Die hellen Sonnenstrahlen wärmten ihr den Rücken. Neugierig wanderte ihr Blick über das Papier. Es fiel nicht leicht, die ungelenken, oft unvollständigen oder seitenverkehrt geschriebenen Buchstaben zu entziffern. Auch klangen die gewollt vornehmen Formulierungen abenteuerlich.
»Was sagst du zu dem Vorschlag?« Babette schlug das Federbett zurück und schwang den massigen Körper über die Bettkante. Dicke blaue Adern mäanderten über ihre stämmigen Beine. Knapp unterhalb des Knies schwollen sie zu regelrechten Knoten an. Sobald Babette merkte, dass Magdalena sie anstierte, zog sie den Stoff des Nachthemds darüber und erhob sich. »Ich finde es sehr großzügig von meinem Bruder, dass er uns bei sich aufnehmen will. Obendrein ist sein Sohn eine hervorragende Partie für dich. Die Frau Feldwebel hat mir bereits zugesichert, mein Anliegen zu unterstützen. Die nächste Gelegenheit, ins Rheinland zu fahren, werden wir also annehmen.«
»Du vielleicht, ich aber nicht.« Magdalena wunderte sich selbst, wie entschlossen sie klang.
»Was?« Mit einem Ruck zog Babette die Ränder ihres Hemdes über der Brust zusammen. Das brünette Haar, das erst wenige graue Strähnen aufwies, fiel weich auf die Schultern. In Momenten wie diesen, die immer seltener wurden, meinte Magdalena zu ahnen, welche Schönheit ihre Mutter einstmals gewesen sein musste. Gut konnte sie nachvollziehen, wie zornig es sie stimmte, ihre Schönheit allein dafür eingebüßt zu haben, Jahr für Jahr ein Kind zu gebären. Trotz aller Mühen hatte bislang nur Magdalena, die zierliche, rothaarige Tochter, aus dieser reichen Kinderschar überlebt. Und ausgerechnet sie hatte so gar nichts von der früheren Schönheit der Mutter geerbt! Ein Zeichen aus dem Reich der Finsternis, wie Babette gern betonte, wobei sie vielsagend die Augen rollte und Magdalenas lockiges, rotes Haar abschätzig musterte. Magdalena musste an die Andeutungen über die Feindschaft ihres Vaters mit Erics Familie denken. Ob die am Ende mit Babette zu tun gehabt hatte?
»Wenn du meinst, ich gebe mein Leben als Wundärztin im Tross auf, um einen törichten Fassbindersohn zu heiraten, täuschst du dich gewaltig.« Wütend schleuderte sie der Mutter den Brief gegen die Brust.
»Was fällt dir ein, du dumme Gans?« Babettes Busen bebte vor Empörung. Der Duft nach Kamille und Seife, der von ihr ausging, reizte Magdalena zum Husten. Darauf nahm die Mutter keine Rücksicht. »Wenn ich sage, wir gehen nach Köln und du heiratest den Sohn meines Bruders, dann tust du das! Dein Vater hätte es nicht anders gewollt.«
»Lass Vater aus dem Spiel! Dass du deine einzige Tochter verschacherst, um ein festes Dach über dem Kopf und eine ordentliche Fleischbrühe im Topf zu haben, ist wohl kaum in seinem Sinn. Warum, denkst du, hat er damals zugestimmt, dass ich bei Meister Johann das Handwerk des Wundarztes erlerne? Doch nicht, um es bei erstbester Gelegenheit an den Nagel zu hängen und in einem schäbigen Fassbinderhaushalt zu versauern.«
»Sprich nicht so von dem großzügigen Angebot, das mein Bruder uns macht!«
»Großzügiges Angebot – dass ich nicht lache! Denk doch mal nach: Glaubst du nicht, es wird einen triftigen Grund geben, dass er dir ausgerechnet dann eine Unterkunft anbietet, wenn er seinen Sohn zu
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