Die Wundärztin
Säugling nicht hatte stillen können, stieg Eifersucht in ihr auf. Unwillkürlich tastete sie mit den Fingern nach dem Bernstein, der unter dem Mieder zwischen ihren Brüsten baumelte. Wie immer, wenn sie den Stein befühlte, durchströmte sie eine wohlige Wärme, und Zuversicht und Stärke kehrten zurück.
»Was reden wir hier unnützes Zeug, Roswitha! Wir sollten uns besser sputen und Kräuter sammeln. Der Tag scheint wieder heiß zu werden.«
»Ja, du hast recht«, krächzte die Alte. »Der Schuss vorhin hat wohl nichts zu bedeuten. Von den Schweden ist weit und breit nichts zu sehen. Also steht uns ein weiterer Tag bevor, an dem wir uns ungestört um unsere Pflanzenvorräte kümmern können.«
»Aber nur, wenn wir jetzt die Körbe füllen.«
Gut gestimmt stapften sie los. Am Waldsaum entdeckten sie Nelkenwurz, bevor sie auf das freie Feld traten und zu den Äckern und Wiesen in der Talsenke rund um die mittelhessische Stadt marschierten. Entlang der ausgetretenen Wege stießen sie auf Gänsefingerkraut. Auch ersten Ackerrittersporn entdeckten sie bald. Rasch waren die Körbe gut gefüllt, und sie schickten sich an, zum Lager auf der östlichen Seite zurückzukehren. Plötzlich aber hielt Roswitha inne und fasste nach Magdalenas Arm. Warnend legte sie den Finger auf die Lippen und wies mit dem Kopf nach Süden. Verwirrt folgte Magdalena ihrem Blick und starrte gebannt in die angegebene Richtung. Die Sonne war inzwischen über dem Bergrücken aufgetaucht und schickte die ersten Strahlen in die Ebene. Mehrere dunkle Punkte tanzten in der Ferne auf und ab. Je länger sie hinsah, umso klarer zeichneten sich die Umrisse ab. Bald wusste sie, worum es sich handelte: ein Trupp bewaffneter Männer!
Erschrocken schlug Magdalena die Hand vor den Mund. Der Schuss vorhin war also doch nicht harmlos gewesen. Offenbar war er nicht oben auf dem Berg abgegeben worden, sondern hing mit dieser Rotte zusammen. Hätten sie das doch gleich ernst genommen! Immerhin war es noch keine zwei Tage her, dass unweit des Lagers drei kaiserliche Soldaten heimtückisch überfallen und niedergestochen worden waren. Magdalena war selbst hinzugerufen worden, die Toten zu untersuchen.
Trotz all des Schrecklichen, was sie als Wundärztin bereits gesehen hatte, war sie entsetzt gewesen: Wie beim Schlachten von Schweinen waren die Leiber der Soldaten entzweigeteilt und an Pfählen aufgeknüpft worden. Auf einem Fetzen Papier, das in einer der Taschen steckte, stand, dies sei die Rache für die Greueltat an drei jungen Frauen, die vor einiger Zeit auf dem Weg zur Lache im Nordosten der Stadt überfallen und geschändet worden waren. Wer hinter dem Überfall auf die Frauen steckte, ob Kaiserliche oder marodierende Schweden oder gar Männer aus der Stadt, war noch ungeklärt und würde das wohl auch bleiben. So etwas geschah in Kriegszeiten einfach zu oft. Augenscheinlich aber hatte es die Stadtbewohner zu dem hinterhältigen Übergriff auf die Soldaten angestachelt. Um deren feige Meuchelmörder zu fangen, hatte der Profos Hagen Seume Suchtrupps losgeschickt und sich selbst an die Spitze eines solchen gestellt, damit den Marodeuren endlich das Handwerk gelegt wurde.
Die Blicke der beiden Frauen trafen sich. Sie kannten sich lange genug, um zu wissen, dass sie dasselbe dachten: Vielleicht waren die Heranrückenden diejenigen, die die Frauen überfallen hatten! Die Marodeure würden sich freuen, zwei weitere nahezu wehrlose Weiber allein und weit entfernt vom Lager anzutreffen. Zum Weglaufen war es zu spät: Der Schutz bietende Waldsaum am Berghang war zu weit entfernt. Auch sonst bot sich in der weiten Ebene, die seit Jahrhunderten als Ackerfläche diente, kaum eine Möglichkeit, sich zu verbergen.
Wie auf Kommando tasteten sie nach ihren Messern, mit denen sie die Kräuter abzuschneiden pflegten, und nickten sich zu. Bevor sie sich ergaben, würden sie wenigstens einem der Halunken die Kehle durchschneiden.
Schon kamen die tanzenden Punkte näher. Es waren fünf, alle zu Fuß unterwegs. Stille senkte sich über sie. Lediglich die Schritte der schweren Männerstiefel knallten auf den trockenen Lehmboden. Drei von ihnen trugen Messer, Säbel und Gewehre. Die breitkrempigen Hüte tief in die Gesichter gezogen, zerrten sie die beiden anderen, die barhäuptig waren, ungeduldig zwischen sich her. Offensichtlich handelte es sich um ihre Gefangenen. Als sie Magdalena und Roswitha erreichten, versetzte einer von ihnen den beiden in der Mitte einen
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