Die Wundärztin
kräftigen Tritt und bedeutete den anderen, die Gefangenen ebenfalls loszulassen.
Aufjaulend stürzten sie zu Boden. Ihre Körper wiesen Spuren von Misshandlung auf: Rücken, Beine und Arme waren übersät von blutigen Striemen. Aufgesprungene Lippen, blaue Flecken auf den Wangen sowie angeschwollene Augenpartien ließen erkennen, dass auch ihre Köpfe nicht verschont worden waren.
»Sieh an, die rote Magdalena und die alte Roswitha.« Derjenige von den dreien, der offenbar das Kommando führte, brachte sich breitbeinig, die Daumen in den Gürtelschlaufen der Hose, vor ihnen in Position. Seine Stimme war dunkel und rauh. Magdalena warf zwar noch einen kurzen Blick auf seine rote Armbinde, doch längst war klar, dass es sich bei den dreien um Angehörige ihres Regiments handelte. Woher sonst kannte der Mann ihre Namen? Prüfend sah sie ihm ins Gesicht. Die dicke, blaurot geäderte Knollennase war das Auffälligste, die dünnen Lippen und das ebenmäßige Kinn nichts Besonderes. Die Wangen waren glatt rasiert, das Haar ordentlich gestutzt. Nichts an ihm war ihr vertraut. In den letzten Jahren hatte sie so viele Soldaten behandelt, dass sie sich kaum an jeden einzelnen erinnern konnte. Die Geretteten vergaßen dagegen oft ein Leben lang nicht, dass sie ihnen geholfen hatte. Gut möglich, dass es sich bei diesem hier um einen ehemals Verletzten handelte, den sie vor Schlimmem bewahrt hatte.
Auch an keinen der Begleiter, die sie nun ebenfalls genauer musterte, konnte sie sich erinnern. Doch auch diese lächelten ihr anerkennend zu. Darüber wich ihre Furcht. Neben ihr ächzte und schnaufte Roswitha, ohne eingeschüchtert zu wirken.
»Wer seid ihr und was tut ihr mit den beiden da?«, krächzte sie, während sie sich die beiden Gefangenen genauer besah. »Weshalb habt ihr die zwei so zugerichtet?«
»Wenn ich euch sage, wer die sind, fragt ihr euch, warum wir sie nicht gleich gevierteilt und zerhackt haben, damit die Krähen ein leichtes Fressen haben. Verdient hätten sie, dass die Vögel ihnen bei lebendigem Leib die Augen auspicken.« Der Anführer streckte die Brust heraus. Als die Frauen ihn nicht wie erhofft zu den Einzelheiten seiner Heldentat ausfragten, schob er nach: »Das sind die Schurken, die unsere tapferen Soldaten auf dem Gewissen haben. Die feigen, hinterhältigen Drecksäcke, die sich im Dunkeln heranschleichen, um unsere Männer niederzustechen. Hat wohl seinen Grund, dass sie den offenen Zweikampf fürchten wie der Teufel das Weihwasser. Schaut sie euch gut an, dann seht ihr selbst, dass sie keinen Mumm in den Knochen haben. Solche wie die können nur aus dem Hinterhalt heraus angreifen. Elende Halunken! In der Hölle sollen sie schmoren bis in alle Ewigkeit!«
Angewidert spuckte er vor den Gefangenen aus, die sich wimmernd vor Schmerzen auf dem Boden wanden. Schon versetzte ihnen einer der Söldner Tritte in die Eingeweide. Als sich der eine daraufhin aufbäumte, begann der zweite Soldat, mit der bloßen Faust auf ihn einzuschlagen, bis er kraftlos wie ein Sack Mehl wieder zu Boden sackte. Schützend warf sich der zweite Gefangene über ihn. Da erst hielt der Anführer seine Kameraden zurück: »Lasst ihn leben. Seume will an ihnen ein Exempel statuieren. Weit sichtbar sollen sie am Galgen baumeln, damit jeder begreift, welche Strafe denjenigen erwartet, der sich gegen die Unsrigen stellt.«
2
Seit dem ersten Morgengrauen drängten die Menschen zum Richtplatz. Das Geviert trennte das wohlgeordnete Offizierslager mit den ausladenden, herrschaftlichen Zelten von den bunt durcheinandergewürfelten Unterkünften und niedrigen Erdhöhlen der einfachen Soldaten, an die sich die endlos scheinenden Reihen des Trosses anschlossen. Aus allen Winkeln des kaiserlichen Armeequartiers strömten die Menschen herbei, begierig auf das Spektakel, das sie erwartete: die Hinrichtung der beiden Soldatenmörder. Die viel zu engen Gassen des Lagers wurden dem Ansturm der Massen nicht gerecht. Bald stauten sich die Menschen zwischen den Verschlägen. Erste Stützpfähle fielen um, Zelte brachen ein, die behelfsmäßigen Dächer aus Zweigen und Moos wurden umgerissen.
Ungeduldig schoben sich die Neugierigen weiter, fluchten lauthals über umherliegende Hindernisse und beschimpften einander. Manch einer gebrauchte seine Ellbogen, um sich den Weg nach vorn zu bahnen. Empört flogen daraufhin die ersten Fäuste durch die Luft, einige verteilten gar Kopfnüsse, um sich ein Durchkommen zu verschaffen. An vielen Ecken kam
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