Die Wundärztin
ein. Das Holz barst, er jaulte auf und sank wie ein Sack Mehl zusammen. Sie konnte sich unter ihm wegdrehen, so dass er auf der nackten Erde zu liegen kam. Erleichtert atmete sie auf.
»Was hat er dir getan?«
»Rupprecht!« Ihre Stimme überschlug sich vor Erleichterung. Selten hatte das lautlose Auftauchen des Gefährten sie so erfreut wie in diesem Moment. Er streckte ihr die Hand entgegen, um ihr aufzuhelfen. Dankbar griff sie danach, zuckte dann aber zurück. Seume hatte sie vorhin wohl doch zu fest angefasst. Kaum konnte sie die Hand bewegen. Rupprecht begriff sofort und stützte sie sanft am Unterarm.
»Hat das Schwein dich verletzt?« Besorgt besah er sich das Handgelenk, tastete vorsichtig die Knochen ab und prüfte die Beweglichkeit der einzelnen Finger. »Sieht nicht gut aus. Ein paar Tage wirst du sie ruhig stellen müssen. Ich lege dir sicherheitshalber eine Schiene an und trage eine Salbe auf. Komm mit!«
»Lass nur, das geht schon wieder. Bringen wir lieber Seume weg, sonst wird es furchtbaren Ärger geben. Immerhin ist er trotz allem der Profos.«
»Ein feiner Profos!« Angeekelt verzog Rupprecht das Gesicht.
Sie machte einen Schritt auf ihn zu, knickte ein und kippte nach vorn. Sogleich fing er sie auf. Als sie sich in seinen Armen wiederfand, wurde ihr bewusst, dass sie am ganzen Leib zitterte. Ungewollt klapperten ihre Zähne aufeinander. Der Körper versagte ihr den Gehorsam, und sie ließ den Kopf gegen Rupprechts Schulter sinken. Beruhigend legte er ihr die Hand auf den Rücken und strich sanft darüber. Seine Hand fühlte sich zart und weich an. Sie schloss die Augen und genoss es. Wie ein frisch geschlüpfter Schmetterling im Frühling entfaltete sich die Wärme in ihrem Körper, ähnlich dem Gefühl, das der Bernstein ihr sonst vermittelt hatte. Der Schreck von vorhin war bald vergessen, die Anspannung aus den Gliedern gewichen. Rupprechts Kopf legte sich auf den ihren, sein Atem tanzte über ihre Nasenflügel. Sie hob den Blick und sah ihn dankbar an. Das Schwarz seiner Augen schimmerte.
»Was ist denn hier passiert?«
Unwillkürlich ließen sie einander los. Magdalena blinzelte ins Dunkel und sah, wie Elsbeth hinter dem anderen Ende des Wagens hervortrat. Das Wiegen der kleinen Carlotta auf der Hüfte machte sie selbst bei Nacht unverwechselbar. Schon streckte Magdalena ihre Hände aus, um das Kind zu nehmen, da wandte sich Elsbeth abrupt ab. Wenigstens schlief die Kleine und nahm nichts davon wahr, was um sie herum geschah.
»Rupprecht hat mich vor Seumes Übergriff gerettet.« Verschämt ordnete Magdalena ihr verrutschtes Mieder und deutete mit der gesunden Hand auf den Mann am Boden. Als habe er ihre Worte gehört, bewegte er sich. Ein Stöhnen verriet, dass er wieder zu Sinnen kam. Prüfend rieb er sich mit der Hand über den fast kahlen Schädel, tastete die wulstige Narbe entlang und setzte sich auf. Alle drei sahen auf ihn hinunter.
»Was ist? Was glotzt ihr so?« Verärgert blickte er von einem zum anderen. Schließlich rappelte er sich auf. Kaum stand er, beugte er sich nach vorn. Fast sah es aus, als kippte er erneut um. Er bückte sich jedoch nur, um nach dem Hut zu fassen. Ohne den Kopf zu heben, setzte er ihn auf und hüllte sich in den zerrissenen Umhang. »Weiber!« Grob stieß Seume Elsbeth beiseite. Magdalena und Rupprecht traten einen Schritt auseinander. Ohne sie eines Blickes zu würdigen, wankte Seume torkelnd zwischen ihnen durch.
Schweigend sahen sie ihm nach. Ein-, zweimal stolperte er über die eigenen Füße, doch jedes Mal fing er sich wieder. Schließlich blieb er stehen, stützte sich an einem Holzpflock ab und beugte sich nach vorn. Ein Schwall Erbrochenes ergoss sich auf den ausgetrockneten Boden. Jemand brüllte: »Du Schwein! Kotz gegen dein eigenes Zelt!« Das aber störte ihn wenig. Noch ein zweites Mal verschaffte er sich Erleichterung und wartete eine Weile. Als nichts mehr kam, wankte er weiter und verschwand um die Ecke.
»Hoffentlich gibt das keinen Ärger!«, raunte Magdalena Rupprecht zu.
Der zuckte nur die Achseln: »Den Teufel wird er tun und das an die große Glocke hängen. Immerhin war er viel zu besoffen, um es dir zu besorgen.«
»Weil du rechtzeitig eingegriffen hast«, wandte sie ein.
»Vor der Jammergestalt musste Rupprecht dich doch nicht etwa retten?« Elsbeth lachte auf. »Seume kann ja froh sein, wenn er von allein wieder zu seinem Zelt zurückfindet. So besoffen, wie der ist, tut der keiner Fliege was zuleide.«
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