Die Wundärztin
Hochmütig warf sie den Kopf zurück. Dabei schwang das lange blonde Haar locker um den Hals und gab den Blick frei auf die reine, helle Haut darunter. Etwas Schwarzes, Dünnes zeichnete sich darauf ab.
Magdalena stockte der Atem: die Lederschnur! Eindeutig hing dort das Band, an dem ihr Bernstein befestigt war! Auf einmal wusste sie auch, wie ihre Cousine an das Schmuckstück gekommen war: Ganz genau hatte sie es wieder vor Augen, wie Elsbeth ihr auf dem Richtplatz Carlotta vom Arm genommen hatte. Dabei hatte die Kleine an ihr gezogen und gezerrt – und den Stein gleich mit erwischt. Den Zufall hatte Elsbeth sich zunutze gemacht. Dieses Miststück! Wie hatte sie nur verdrängen können, wie hinterhältig die Cousine sein konnte? Am liebsten hätte sie sich auf sie gestürzt und ihr den Stein gleich wieder entrissen. Dann aber hätte Rupprecht von dem kostbaren Schatz erfahren. Also musste sie sich etwas anderes einfallen lassen.
11
Meister Johann musste nach seiner Rückkehr nicht lange erklärt werden, was vorgefallen war. Zwar ließen seine schwankenden Schritte und der Alkoholdunst darauf schließen, dass er von einem ausschweifenden Trinkgelage kam, dennoch genügte ihm ein Blick aus den branntweingetrübten Augen, das Geschehene zu erfassen. Barsch wies er Rupprecht an, bei Eric zu bleiben, und half Magdalena behutsam in den Planwagen.
»Das hätte ich dir gern erspart, mein Mädchen.« Besorgt sah er sie an. Unwillkürlich strich er ihr mit seinen riesigen Fingern über die Wange. Erschrocken entdeckte Magdalena Tränen in den trüben Froschaugen.
»Dich trifft doch keine Schuld!« Ergriffen fasste sie nach seinen Händen. »Wie kommst du denn darauf?«
Der Feldscher senkte den schweren Kopf, bevor er leise sagte: »Lang schon habe ich es geahnt. Auch dein Vater hat bereits in Freiburg befürchtet, dass Seume sich an dich ranmacht. Seine Blicke damals waren eindeutig. Ein elender Hund ist das! Keine Ruhe wird er geben, bis er es endlich geschafft hat. Bei meiner Anna war es das Gleiche. Nur das Ende war noch schlimmer. Wollen wir hoffen, dass es nicht so weit kommt.«
Er schniefte, fuhr sich mit der Hand unter der Nase entlang. Magdalena beobachtete ihn besorgt. Ihr schien es, als spüre sie seinen Schmerz am eigenen Leib. Ruckartig hob er den Kopf und sah sie stumm an.
»Was meinst du damit?« Jäh fuhr ihr der Schmerz durch das verletzte Handgelenk. Sie hatte sich zu unbedacht bewegt. Um nicht aufzuschreien, biss sie sich auf die Lippen und bekämpfte den Drang, einfach loszuheulen.
»Ach, das sind alte Geschichten. Zum Teil kennst du die schon.« Tief atmete er ein, wie um sich Mut zum Reden zu machen. Mit einem kurzen Blick auf Magdalena vergewisserte er sich ihres Beistands, den sie durch ein Nicken bekundete. »Seume hat auch meiner Anna nachgestellt. Dass sie mich geheiratet hat, war für ihn kein Hindernis. Selbst als sie hochschwanger war, hat er sie nicht in Ruhe gelassen. Doch Anna war stark. Deshalb ist es ihm auch nicht gelungen, sie flachzulegen. Mit Haut und Haaren hat sie sich gewehrt, ihn mehr als einmal der Lächerlichkeit preisgegeben. Als er es eines Tages wieder einmal bei ihr versucht hat, ist sie gestürzt und so unglücklich mit dem Kopf auf einem Stein aufgeschlagen, dass sie keine zwei Stunden überlebt hat. Und auch das Kind in ihrem Leib konnte nicht gerettet werden, obwohl Roswitha es noch herausholte.«
Traurig schüttelte er den Kopf. Wieder standen ihm Tränen in den Augen. Dieses Mal war es an Magdalena, ihm mit der gesunden Hand zärtlich über die Wange zu streichen. Dankbar hielt er ihre Finger fest und drückte sie. Auf einmal aber ging ein Ruck durch seinen Leib. »Inzwischen lässt Seume wenigstens die schwangeren Frauen in Ruhe. Die Geschichte mit meiner Anna hat selbst ein Ungeheuer wie ihn nicht kalt gelassen. Sonst hat er sich leider nicht viel verändert, der alte Hurenbock.«
Behutsam schob er ihre rechte Hand weg und kletterte nach draußen. Mit einem brennenden Kienspan kam er wenig später zurück. Er entzündete eine Handvoll Talglichter und reihte sie um einen Schemel.
Magdalena bedeutete er, sich darauf zu setzen. Dann beugte er sich über den verletzten Arm und untersuchte behutsam das Handgelenk.
»Warum hat Roswitha das getan?«
»Was?« Erstaunt hob er den Blick.
Sie suchte nach den richtigen Worten, um ihm nicht abermals weh zu tun. »Die tote Anna aufzuschneiden. Hätte sie nicht merken müssen, dass das Kind ebenfalls tot ist?«
Brüsk
Weitere Kostenlose Bücher