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Die Wundärztin

Die Wundärztin

Titel: Die Wundärztin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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ließ er ihre verletzte Hand sinken: »Roswitha trifft keine Schuld. Sie hat alles getan, um Anna und das Kind zu retten. Meine Anna war übrigens ihre Schwester.«
    »Tut mir leid. Das wusste ich nicht.«
    »Woher auch?« Wieder senkte er seinen Kopf und betrachtete das verletzte Handgelenk. So viele Fragen ihr auch noch auf der Zunge lagen, ließ sie es doch schweren Herzens dabei bewenden.
    Mehrmals drehte er ihre Hand behutsam zur Seite, beugte das Gelenk vor und zurück und widmete sich den einzelnen Fingern. Nicht nur seine Trunkenheit war wie weggeblasen. Auch von der aufwühlenden Erinnerung an den schrecklichen Tod seiner Frau und ihres Kindes ließ er sich nichts mehr anmerken. Selbst nach all den Jahren musste es schlimm für ihn sein, Seume täglich um sich zu haben.
    Doch nun war er wieder ganz der erfahrene Feldscher, der wahre Wunder zu vollbringen wusste.
    »Endlich erfahre ich mal am eigenen Leib, was es heißt, von dir untersucht zu werden.« Aufmunternd lächelte Magdalena ihn an, um ihn abzulenken. Dabei stimmte das nicht ganz, denn sie hatte sich bereits einige Male als Patientin in seine Obhut begeben. Gerade als Kind hatte sie gern jeden Vorwand genutzt, sich von ihm behandeln zu lassen. So hatte er früh ihre Vorliebe und ihre Begabung für die Wundarzttätigkeit erkannt.
    »Du hast schon immer einen Grund gefunden, in den Genuss meiner Salben zu kommen.« Erleichtert griff er ihre Worte auf und zwinkerte ihr zu.
    »Reicht es denn wenigstens dieses Mal, damit du den berühmten Tiegel mit der uralten Rezeptur deines Meisters hervorkramst?«
    »Auch ohne dass du dir das Gelenk hättest brechen müssen, hätte ich sie dir gegönnt. Du weißt doch, dass mir für dich nichts zu kostbar ist. Das bin ich der Tochter meines Freundes schuldig, noch dazu, wo sie meine beste Gehilfin ist.« Vorsichtig bettete er die verletzte Hand auf ihren Schoß und begann geschäftig in einer der hintersten Kisten im Wagenkasten herumzukramen. Schwer atmend kam er mit einem tönernen Gefäß zurück. Ein letztes Mal betrachtete er das Handgelenk. Dann endlich bestrich er es sorgfältig mit der Salbe, die er angeblich vor mehr als dreißig Jahren von seinem Meister bekommen hatte und die gut und gern noch weitere zwei Jahrzehnte aufbewahrt werden konnte, ohne dass sie in ihrer Wirkung nachließ. Magdalena sog den Geruch in tiefen Zügen ein. Die Bestandteile der alten Salbe waren ein großes Geheimnis. Um sich ganz auf den Geruch besinnen zu können, schloss sie die Augen. Die vorsichtig kreisenden Bewegungen des Feldschers auf dem lädierten Gelenk taten ein Übriges, sie in einen wohligen Zustand zu versetzen.
    Bald war sie sich sicher, dass sie neben dem holzigen, leicht eukalyptusartigen Kampfergeruch auch Lein- und Lorbeeröl, Terpentin, Weihrauch und Myrrhe erahnen konnte. Es ging doch nichts über eine geschulte Nase! Aloe war in jedem Fall auch enthalten, ebenso Harz von einem Ölbaum. Und Wacholder natürlich. Die weiteren Spuren konnte sie nicht zuordnen. Seit Jahren wetteiferte sie mit Rupprecht darum, das Rätsel der Salbe zu lösen, kam aber auch jetzt nicht viel weiter. Viel zu schnell, wie sie fand, hörte Meister Johann mit dem Auftragen auf und begann, die Hand zu bandagieren. Dabei schiente er sie zuvor noch mit zwei Holzstöckchen, die er in der richtigen Länge bereits zur Hand hatte.
    »Die nächsten Tage schonst du dich. Rupprecht und ich kommen mit dem, was zu tun ist, gut allein klar. Ich gebe Roswitha Bescheid, damit sie ein Auge auf Elsbeth und die Kleine hat. Carlotta wirst du natürlich vorerst nicht heben. Von mir aus hockst du einfach nur bei deinem Eric. Weiß sowieso niemand, wie lange dir das noch vergönnt sein wird.«
    Traurig nickte er ihr zu. Es war das erste Mal, dass sie diese Regung im Zusammenhang mit Eric an ihm wahrnahm. Vielleicht teilte er die Feindschaft, die ihr Vater für den Geliebten empfunden hatte, doch nicht? Schon überlegte sie, wie sie ihn am geschicktesten dazu befragen konnte, da machte er Anstalten, sich von ihr zu verabschieden.
    »Wo gehst du hin? Schläfst du nicht hier?«
    »Ich habe noch etwas zu erledigen. Spätestens mittags bin ich zurück.«
    Erstaunlich behende für einen schweren Mann seines Alters schwang er sich vom Wagenkasten. Die tiefe Dunkelheit verschluckte ihn. Gern wäre Magdalena ihm gefolgt, nicht allein, um zu sehen, wo er hinging, sondern auch, um ihn vor einer unüberlegten Handlung zu bewahren. Gleichzeitig wusste sie, dass ihr eine

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