Die Wundärztin
der Umarmung und trat einen Schritt zurück. Der gemeine Verrat der Cousine, die ihr den wertvollen Stein abspenstig gemacht und sogar die Dreistigkeit besessen hatte, ihn offen zu zeigen, schmerzte sie. Dabei verstanden sie sich, seit sie sich gemeinsam um Carlotta kümmerten, deutlich besser als früher. Tatsächlich war es schon so gewesen, seit Babette nicht mehr im Tross lebte. Trotzdem aber hatte die Cousine sie hinterhältig bestohlen.
»Zügele deinen Zorn! Womöglich liegt dein Leben in Elsbeths Hand. Du wirst sie noch brauchen, also verscherze es dir nicht mit ihr.« Eindringlich sah Roswitha sie an, bis Magdalena verlegen die Augen senkte.
»Vorerst bist du diejenige, die zur Vernunft kommen muss, mein Kind«, sprach die Alte weiter. »Dir bleibt nicht mehr viel Zeit, dich zu entscheiden, was du mit Eric tust.«
»Wenn das so einfach wäre!« Magdalenas Stimme klang tränenerstickt. »Wer sagt mir außerdem, dass er noch derselbe ist wie damals in Freiburg? Ob ihm an mir überhaupt noch etwas liegt, ob er unser Kind will? Meister Johann, Rupprecht und du, ihr seid längst so etwas wie meine Familie. Soll ich euch für jemanden in Gefahr bringen, der womöglich ein Lump ist?«
»Schon damals in Freiburg hast du dich nicht darum geschert, was deine Liebe zu Eric für deine Nächsten bedeutet. Oder hast du vergessen, dass eure Väter Todfeinde waren? Deshalb ist dein Vater in den Krieg gezogen. Dennoch hast du weiter an Eric festgehalten. Also wirst du einen guten Grund dafür haben.« Wieder suchte Roswitha ihren Blick. Magdalena war, als sähe sie ihr direkt ins Herz.
»Immerhin hat er mit Seume krumme Geschäfte gemacht«, begehrte sie noch einmal leise auf.
»Vergiss, was du letzte Nacht von Seume gehört hast. Vertrau lieber deinem Gefühl. Das allein zählt.«
12
Das ersehnte Gewitter kehrte die nächsten Tage nicht mehr zurück. Elsbeth wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht und bedauerte zutiefst, den Regen letztens nicht besser genutzt zu haben und wie die Kinder einfach durchs Nass gehüpft zu sein. Eine solche Gelegenheit zur Erfrischung schien vorerst in weite Fernen gerückt. Unerbittlich brannte die Sonne vom tiefblauen Himmel, und die Luft flirrte vor Hitze. Elsbeth tränten die Augen von der Helligkeit. Wenigstens musste sie ihr schattiges Plätzchen unter der Plane nicht so rasch verlassen. Frisches Wasser, Brot und Wein, sogar ein ordentliches Stück Schinken waren in Griffnähe. Die Versorgung klappte reibungslos. Nicht einmal Magdalena war das jemals so gut gelungen. Langfristig sollte sie sich von der Cousine befreien. Dass Carlotta ihr erhalten blieb, da würde sich schon ein Weg finden.
Stolz lachte sie auf. Die Schmach mit dem Kommandantensohn jedenfalls war vergessen. Der Dummkopf würde sich noch grämen, sie abgewiesen zu haben. Magdalena hatte er trotzdem nicht bekommen, und Elsbeth hatte es nicht mehr nötig, sich an einen so undankbaren Burschen wie ihn zu halten. Zufrieden lehnte sie sich mit dem Rücken an die Kiste und genoss die Zweisamkeit mit Carlotta. Zugegeben, der Preis, den sie für das angenehme Leben zahlte, war nicht ohne. Doch was hieß das schon in Zeiten wie diesen? Die Marketender verlangten bereits sechs Batzen für den Laib Brot, ein Maß Wein kostete einen ganzen Batzen. Nicht einmal der Erlös aus dem Verkauf des Bernsteins hätte lange vorgehalten.
Eine dicke Fliege brummte dicht vor ihrer Nase. Elsbeth verscheuchte sie mit der Hand. Von der Bewegung fühlte Carlotta sich gestört und seufzte. Behutsam nahm sie das Kind von der Brust, wartete, bis es aufgestoßen hatte, und legte es auf der anderen Seite an. Aufgeregt fuhr es mit den Fäusten durch die Luft und strampelte mit den Füßen gegen Elsbeths Bauch. Kurz darauf sanken Arme und Beine schlaff nach unten. Auch das gierige Saugen ließ nach, verwandelte sich in ein langsames Nuckeln, bis Carlotta schließlich die Brustwarze aus dem halboffenen Mund schlupfte, weil sie tief und fest schlief. Wieder einmal war die Kleine rundum satt geworden. Liebevoll beugte sich Elsbeth über sie und beobachtete ihr friedliches Schlafen. Dabei baumelte plötzlich der Bernstein vor ihren Augen. Vorsichtig bettete sie das Kind neben sich auf die Matte, fasste mit der freien Hand nach dem Stein und drückte ihn fest. Der hatte ihr wirklich Glück gebracht. Sie schmunzelte, mahnte sich aber gleichzeitig zur Vorsicht. Nicht dass jemand den Stein entdeckte und ihn ihr wegnahm. Beunruhigt schweifte ihr Blick
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