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Die Wundärztin

Die Wundärztin

Titel: Die Wundärztin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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umher. Niemand schien sie zu beobachten. Sicherheitshalber knöpfte sie ihr Mieder zu und verbarg den Stein unter dem Stoff. Einzelne Strähnen ihrer langen blonden Haare drapierte sie geschickt darüber, so dass auch die Lederschnur am Hals nicht auffiel. Endlich setzte sie den Weinschlauch an die Lippen und trank in kleinen Schlucken. Genussvoll spürte sie dem Wein nach, wie er durch ihre Kehle rann. Sie fühlte sich nicht nur erfrischt, sondern auch froh und wunderbar leicht. Wie gut, dass sie den Wein hatte. Ein Hoch auf Hagen Seume! Vergnügt gluckste sie und hätte sich beinahe verschluckt.
    Rasch ließ sie den Schlauch sinken, wischte sich die Lippen und dachte an Seume. Ein Segen, dass sie ihm letztens nachts nachgegangen war: Männer wie er trugen schwer an einer Schmach, wie Magdalena und Rupprecht sie ihm zugefügt hatten. Gut, dass sie den rechten Trost für ihn gewusst hatte. Ihr Schaden war es nicht. Nicht nur, dass er seither Tag für Tag höchstpersönlich das Essen bei ihr vorbeibrachte. Zufällig hatte er dabei gestern auch seine Tabakdose verloren, was ihm wohl noch gar nicht aufgefallen war. Vorerst behielt sie das reichverzierte, goldene Stück bei sich. Durch einen Blick in die Kiste mit dem Leinzeug vergewisserte sie sich, dass die Dose noch da war. Möglicherweise konnte sie sie einmal gut gebrauchen. Verlor er seine Lust an ihr, hatte sie damit immer noch etwas, was sich bei den Marketendern eintauschen ließ. Ach, Seume war wirklich ein Glücksfall!
    »He, Elsbeth!« Ein riesiger Schatten schob sich vor ihre Zeltplane. Was sollte das? Seume war doch erst da gewesen und hatte sich für den mitgebrachten Nachschub ausgiebig entlohnen lassen. Eigentlich hatte er danach mit seinen Männern aus dem Lager marschieren wollen, weitere Vorräte organisieren. Langsam ging der Wein zur Neige, Brot und Schinken reichten ebenfalls nicht mehr lange. Hatte er seine Pläne etwa geändert? Hoffentlich war er ihr nicht auf die Schliche gekommen und hatte das Fehlen der Tabakdose bemerkt. Ihre Ohren begannen zu glühen, während sie fieberhaft darüber nachdachte, wie sie den Schatz am besten verbarg. Die Kiste war das Erste, was er öffnen würde, wenn er ihr Zelt durchsuchen sollte. Ein anderes Versteck aber gab es nicht.
    »Moment noch, ich bin gleich so weit!«, rief sie nach draußen.
    »Mach schon! Vor mir brauchst du dich nicht erst schön machen. Wir haben doch keine Geheimnisse voreinander!«
    Sie schob die goldene Tabakdose tiefer zwischen das Leinen und klappte die Kiste zu. Carlottas Lider zuckten im Schlaf. Wenn die Kleine aufwachte und losschrie, war alles zu spät. Seume mochte nicht, wenn das Kind zwischen ihnen herumkrabbelte. Rasch leckte sie die Finger, zwirbelte eine Strähne an der Schläfe, um das Haar lockiger zu machen. Im selben Moment wurde die Plane weiter aufgerissen, und Seumes hoch aufragende Gestalt versperrte den Eingang.
    »Was hockst du hier herum und träumst?« Ungeduldig fuchtelte er mit der Pistole dicht vor ihrem Gesicht. »Mit der Ruhe ist es vorbei!«
    Elsbeth stockte der Atem. Alles umsonst, er hatte sie durchschaut! »Was?« Sie erschreckte, wie schrill ihre Stimme klang. »Was tust du da mit der Waffe in dem engen Zelt? Bist du wahnsinnig?«
    »Wenn hier einer wahnsinnig ist, dann du!«
    Sie sank auf die Knie, hob die gefalteten Hände zu ihm empor und flehte inständig: »Verzeih mir! Ich habe das nicht gewollt. Es ist doch nur wegen dem Kind.«
    »Was faselst du da für einen Unsinn?« Unwillig steckte er die Pistole weg und riss sie an den Händen hoch. »Reiß dich zusammen! Ein Weib, das durchdreht, ist das Letzte, was ich brauchen kann. Hast du nicht mitbekommen, was los ist? Die Schweden rücken an! Keine zwei Tage, und sie stehen vor uns.«
    »Was?« Im letzten Moment konnte sie ein hysterisches Lachen unterdrücken. Carlotta wurde wach und greinte los, sie strampelte mit den nackten Beinchen und hieb mit den Fäusten in die Luft. Das Leinen um ihren Leib war zu locker. Entblößt lag sie da und schrie darüber noch mehr.
    »Willst du den Schreihals nicht endlich zum Schweigen bringen?«, fragte Seume ungehalten. Sie tat wohl besser daran, alles zu tun, seine üble Laune nicht weiter anzustacheln. Hastig begann sie Carlotta zu versorgen. Das verschaffte ihr Gelegenheit, darüber nachzudenken, wie sie Seume auf andere Gedanken bringen konnte. Ging es ihm nicht um die Tabakdose, dann erhoffte er sich von dem Besuch bei ihr tatsächlich Ablenkung. Doch in ihrer

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