Die Wundärztin
Anklage vor die Brust. Lächerlich, darum so viel Aufhebens zu machen! Elsbeth schnaubte empört. Seume war in der besagten Nacht völlig betrunken gewesen, nicht mehr Herr seiner Sinne, geschweige denn seiner Lust. Es wäre geschickter, ihn nicht an die Schmach zu erinnern, die er vor ihrer aller Augen erlitten hatte. Warum aber sollte sie Magdalena vor seiner Laune warnen? Vielleicht konnte Elsbeth sogar Profit daraus ziehen, wenn Seume weiterhin wütend auf Magdalena blieb.
»Was fällt dir ein!« Seume gab sich keine Mühe, seinen Ärger zu verbergen. Elsbeth schloss die Augen. Auf den Lärm hin schrie Carlotta wieder los, so dass sie nicht verstand, was Magdalena erwiderte. Ungeduldig wiegte sie die Kleine und spitzte vergeblich die Ohren. Das Gebrüll überlagerte alles andere. Kurz entschlossen streckte sie Magdalena das Kind entgegen. »Am besten kümmerst du dich selbst um deine Tochter!«
»Was?« Erstaunt blickte Seume zwischen den beiden Frauen hin und her. »Die Kleine ist gar nicht dein Kind?«
»Was hat sie Euch denn erzählt?« Magdalena tat überrascht. »Die Amme ist sie, mehr nicht. Kurz nach der Geburt war ich schwer krank, und Elsbeths Kind kam tot zur Welt. Seither stillt sie Carlotta. Aber
mein
Kind bleibt sie natürlich trotzdem.«
Als interessiere ihn das tatsächlich, trat Seume näher an das Kind und betrachtete es neugierig. »Von wem ist sie? So rotblondes Haar und blaue Augen haben nur wenige. Du jedenfalls nicht.« Nachdenklich glitt sein Blick über Magdalena.
Die für ihr Alter erstaunlich große und kräftige Carlotta wirkte in der Tat überhaupt nicht wie ihr Kind, stellte Elsbeth mit Genugtuung fest. Das war die Gelegenheit, sich mit Seumes Hilfe ein für alle Mal der Cousine zu entledigen. Wieder zwirbelte sie eine ihrer blonden Haarsträhnen, legte den Kopf schief und sah Seume aus großen blauen Augen an. Dabei trat sie einen Schritt näher an Magdalena, die einen guten Kopf kleiner war. Eine vage Ahnung musste Seume doch kommen, wenn er die Cousine ansah. So viel Grips hatte selbst er, zu erkennen, dass eine zierliche, rothaarige Frau wie Magdalena einen großen, rotblonden Mann brauchte, um Mutter eines Kindes wie Carlotta zu werden.
»Was denkst du wohl? Du kennst ihn gut.« Ein kurzer Blick auf Magdalena, die kreidebleich geworden war, stachelte sie weiter an. »Er befindet sich gerade zufällig in …«
Schon wollte sie fortfahren, da schoss Magdalenas rechte Hand nach vorn und griff ihr an den Hals. Mit einem Ruck riss sie die Lederschnur entzwei und brachte den Bernstein an sich, um ihn Seume erbost vor die Nase zu halten. »Schaut Euch diese Diebin an! Bestiehlt die eigene Cousine. Was blüht ihr wohl für diese schändliche Tat?«
Hagen Seume wich verblüfft einen Schritt nach hinten, stolperte über die Windeln und fluchte laut, bevor er antwortete. »Wer sagt denn, dass Elsbeth den Stein gestohlen hat?«
Elsbeth atmete auf und streckte bereits die Hand aus, damit Magdalena ihr das Schmuckstück zurückgab. Endlich schien Seume zu begreifen, dass der passende Moment für eine Abrechnung gekommen war, und er sagte: »Es verhält sich doch wohl genau andersherum. Du hast den Stein gerade ihr entrissen, und das vor meinen Augen! Ein Hagen Seume glaubt nur, was er mit eigenen Augen sieht. Du bist also die Diebin, nicht Elsbeth!«
Brüsk fasste er Magdalena am Arm, dass sie vor Schmerz aufschrie, und machte Anstalten, sie mit sich fortzuzerren. Erst im letzten Moment fiel ihm auf, dass sie das Kind noch hielt. »Gib Elsbeth die Kleine und den Bernstein, und dann komm mit, bevor ich mich ganz vergesse.«
Sein Bass grollte wie ein gefährlicher Donner. Auch wenn sich Elsbeth eben noch über Magdalenas missliche Lage gefreut hatte, so schüchterte sie der gewaltige Zornausbruch nun doch ein. Derart wütend hatte sie Seume noch nicht erlebt. Hoffentlich ahnte er nicht, dass ihr Gewissen ihm gegenüber alles andere als rein war.
»Der Stein gehört ihr ebenso wenig wie das Kind«, zischte Magdalena. »Merkt Ihr denn nicht, welch schamlose Lügnerin sie ist? Wahrscheinlich hat sie Euch ebenfalls hintergangen. Schaut lieber nach, ob Ihr wirklich alles, was Euch lieb und teuer ist, noch bei Euch habt. In ihrer Gegenwart ist nichts sicher.« Durch eine flinke Bewegung befreite sie sich aus seinem Griff und wollte zu der Kiste stürzen.
»Nein!«, schrie Elsbeth und stellte sich ihr in den Weg. Wollte sie Schlimmeres verhindern, blieb ihr keine Wahl: »Sie hat recht.
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