Die wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgaensen - Vollstaendige Ausgabe
verlassen, als er dann auf einem Stein saß und über die nackten Gebirgshalden und die großen Wälder hinschaute, die ihn rings umgaben. Aber er hatte noch nicht lange dagesessen, als von drunten aus dem Walde Gesang zu ihm heraufdrang und er etwas Helles zwischen den Bäumen schimmern sah. Bald erkannte er eine blau-gelbe Fahne, und an dem Gesang und dem fröhlichen Rufen erriet er auch, daß die Fahne einem ganzen Zug von Menschen vorausgetragen wurde; aber es dauerte noch recht lange, bis er sehen konnte, welche Art von Zug es war.Die Fahne wurde auf Zickzackwegen heraufgetragen, und Nils Holgersson war außerordentlich gespannt, wohin diese Fahne und die Menschen dahinter wollten. Auf die einsame, öde Berghalde, wo er sich eben befand, kamen sie gewiß nicht, das konnte er sich gar nicht denken. Und doch war es so. Jetzt tauchte die Fahne am Waldessaum auf, und hinter ihr strömten eine Menge Menschen heraus, denen die Fahne den Weg gewiesen hatte. Auf dem ganzen Berge war nun Leben und Bewegung, und an diesem Tage hatte der Junge so viel zu sehen, daß er sich keinen Augenblick langweilte.
Der große Tag des Waldes
Auf dem breiten Gebirgsrücken, wo der Junge von Gorgo zurückgelassen worden war, hatte vor ungefähr zehn Jahren ein Waldbrand gewütet. Die verkohlten Bäume waren gefällt und fortgeschafft worden, und da, wo der große Brandplatz an den frischen Wald stieß, hatte sich allmählich wieder einiges Wachstum eingestellt. Aber der größte Teil lag noch immer unheimlich kahl und verlassen da. Zwischen den Steinen waren zwar noch schwarze Baumstümpfe und legten Zeugnis davon ab, daß einst ein großer, prächtiger Wald hier gestanden hatte, aber nirgends sproßten junge Schößlinge aus dem Boden heraus.
Die Leute wunderten sich darüber, wie lange es dauerte, bis sich die leere Fläche wieder mit Wald bekleidete; sie vergaßen ganz, daß seit jener Zeit, wo das Feuer hier gewütet hatte, die Erde aller Feuchtigkeit ermangelte. Deshalb waren nicht allein alle Bäume gänzlich verbrannt und alles, was auf dem Waldboden wuchs – Heidekraut, Maiblumen, Moos und Preißelbeerstauden –, verschwunden, sondern auch die Erde, die den Felsengrund bedeckte, war nach dem Brande so trocken und lose wie Asche geworden. Jeder Windstoß, der daherjagte, wirbelte sie hoch in die Luft hinauf; und da die Berghöhe dem Winde sehr ausgesetzt war, wurde ein Steinblock um den andern reingefegt. Der Regen tat natürlich auch das Seine, das Erdreich hinwegzuschwemmen; und nachdem sich nun Wind und Wetter zehn Jahre lang alle Mühe gegeben hatten, den Berg abzufegen, sah er so kahl aus, daß man sich nichts andres denken konnte, als daß er bis ans Ende der Welt so liegen bleiben würde.
Aber eines Tages, gleich in der ersten Sommerzeit, versammelten sich alle Kinder des Dorfes, in dessen Gebiet der abgebrannte Berg lag, vor einer der Schulen. Jedes Kind trug eine Hacke oder einen Spaten auf der Schulter, sowie ein Paket Mundvorrat in der Hand. Sobald alle Kinder versammelt waren, wanderten sie in einem langen Zuge dem Walde zu. Die Fahne wurde vorausgetragen, die Lehrer und Lehrerinnen gingen nebenher, und hinterdrein kamen einige Waldhüter und ein Pferd, das eine große Ladung Tannenschößlinge und Tannensamen trug.
Dieser Zug hielt in keinem der dem Dorf zunächstliegenden Birkengehölzean, nein, er wanderte weit hinauf in den Wald. Immer höher ging es auf verlassenen alten Viehwegen, und die Füchse streckten die Köpfe aus ihrem Bau heraus und fragten verwundert, was doch das für Hirtenvolk sei, das zu Berg ziehe. Der Zug kam an verlassenen Weilern vorüber, wo früher in jedem Herbst Kohlen gebrannt worden waren, und die Kreuzschnäbel wendeten ihren krummen Schnabel nach dem Zuge und konnten nicht begreifen, was das für Kohlenbrenner sein sollten, die da in den Wald eindrangen.
So erreichte der Zug schließlich die große abgebrannte Hochebene. Da waren die Felsen ganz kahl, ohne die feinen Linäenranken, von denen sie einstmals bedeckt gewesen waren, und die Steinplatten waren des schönen silberweißen Mooses und auch der feinen niedlichen Renntierflechten entkleidet. Rings um die schwarzen Wassertümpel herum, die sich in den Felsenspalten und Vertiefungen angesammelt hatten, wuchsen weder Kallablätter noch Sauerklee. Auf den kleinen Plätzen, wo zwischen den Steinblöcken und Rissen noch Erde lag, standen keine Farrenkräuter, keine Sternmieren, keine weißen Pyrola, nirgends war eine Spur von all
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