Die wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgaensen - Vollstaendige Ausgabe
den Augen des Tieres las. Es war klar, das Pferd brauchte in dieser Nacht seine Hilfe auf irgendeine Weise, und da er ein ganzer Mann war, beschloß er sofort, ihm zu folgen. Ohne weiteres Zögern führte er es an einen Stein, wo er sich in den Sattel schwingen konnte, und sagte: ‚Geh du weiter! Da du mich mithaben möchtest, will ich dich nicht verlassen. Niemand soll von dem Propst von Delsbo sagen können, daß er sich geweigert habe, jemand beizustehen, der in Not war.‘
Danach ließ er das Pferd gehen, wohin es wollte, und er richtete sein Augenmerk nur darauf, daß er sich im Sattel hielt. Es war ein gefährlicher und beschwerlicher Ritt, fast die ganze Zeit über ging es bergan durch dichten ungebahnten Wald, wo man keine zwei Schritte vor sich sehen konnte. Aber der Propst meinte doch zu erkennen, daß es einen hohen Berg hinaufging. Das Pferd arbeitete sich steile Felswände hinauf; wenn der Propst selbst das Tier geleitet hätte, wäre es ihm gewiß nie eingefallen, sein Pferd auf solchen Wegen gehen zu lassen.
‚Du wirst doch nicht daran denken, den Blackåsen hinaufzuklettern!‘ sagte er; und dabei lachte er ein wenig, denn der Blackåsen war, wie er wohl wußte, der höchste Berg in Hälsingeland.
Während er nun so dahinritt, merkte der Propst, daß er und das Pferd nicht allein draußen in der Nacht unterwegs waren. Er hörte Steine rollen und Zweige krachen; es hörte sich an, wie wenn große Tiere sich einen Weg durch den Wald bahnten; und da es in dieser Gegend viele Wölfe gab, fragte sich der Propst, ob ihn das Pferd am Ende einem Kampf mit wilden Tieren entgegentrage.
Bergan ging es, bergan! Und je höher sie kamen, desto lichter wurde der Wald.
Schließlich ritt der Propst über einen fast kahlen Bergrücken, wo er nach allen Seiten ausschauen konnte. Unermeßlich dehnte sich das Land vor seinen Blicken; mit düstern Wäldern bedeckt, reihten sich Hügel und Bergketten wellenförmig aneinander. Bei der herrschenden Dunkelheit wurde es dem Propst schwer, sich in der Gegend zurechtzufinden, aber nach kurzer Zeit wurde ihm doch ganz klar, wo er sich befand.
‚Ja, ich bin wahrhaftig auf den Blackåsen geritten,‘ dachte er. ‚Es kann kein andrer Berg sein. Dort im Westen sehe ich den Järvsee, und im Osten drüben glänzt bei Agön das Meer. Im Norden sehe ich auch etwas schimmern, das wird Dellen sein, und da in der Tiefe unter mir sehe ich den weißen Dunst des Nianwasserfalls. Ja, ja, dies ist der Blackåsen, es ist kein Zweifel. Das ist wahrhaftig ein Abenteuer!‘
Als er auf dem höchsten Gipfel angekommen war, hielt das Pferd hinter einem dichten Fichtenbaum an; es war, als wolle es sich da verborgen halten. Der Propst beugte sich vor und bog die Zweige auseinander; so erhielt er einen freien Ausblick.
Des Berges kahler Scheitel lag vor ihm; aber nicht einsam und verlassen, wie er erwartet hatte. Mitten auf dem offenen Platze lag ein großer Felsblock, und rings um diesen her waren viele wilde Tiere versammelt. Es kam dem Propst vor, als seien diese Tiere zur Abhaltung einer Art Thing hier zusammengekommen.
Dem großen Felsen zunächst sah der Propst die Bären; diese waren so schwerfällig und von so mächtigem Körperbau, daß sie aussahen wie pelzbekleidete Steinblöcke. Sie hatten sich niedergelegt und blinzelten ungeduldig mit ihren kleinen Augen. Man sah, sie waren aus ihrem Winterschlaf aufgestanden, um zum Thing zu gehen, und es wurde ihnen schwer, sich wach zu erhalten. Hinter den Bären saßen einige hundert Wölfe in dichten Reihen; diese waren nicht schläfrig, sondern jetzt mitten in der Winternacht heller wach als je im Sommer. Wie Hunde saßen sie auf den Hinterfüßen, peitschten den Boden mit den Schwänzen und schnauften gewaltig, während ihnen die Zunge zum Maule heraushing. Hinter den Wölfen schlichen mit steifen Beinen und klotzigen Gliedmaßen, wie große mißgestaltete Katzen, die Luchse umher. Sie schienen sich vor den andern Tieren zu scheuen und zischten, wenn ihnen eines nahe kam. Das nächste Glied hinter den Luchsen bildeten die Vielfraße, die ein Katzengesicht und einen Bärenpelz haben. Diesen gefiel es nicht auf dem Erdboden, sie trampelten ungeduldig mit ihren breiten Füßen und wollten wieder hinauf auf die Bäume. Hinter diesen auf dem ganzen Platze bis hinüber an den Waldrand tummelten sich die Füchse, die Wiesel, die Marder, lauter Tiere, die alle klein und besonders schön gebaut waren, aber ein noch viel wilderes und
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