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Die wunderbare Welt der Rosie Duncan

Die wunderbare Welt der Rosie Duncan

Titel: Die wunderbare Welt der Rosie Duncan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dickinson Miranda
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Grundstück kaufen zu können und darauf eine Baumschule zu errichten. Das ganze Jahr über verkauft er Sträucher, Balkon- und Topfpflanzen, doch an Thanksgiving verwandelt sich das Gelände wundersam in Chucks berühmten Weihnachtsbaumverkauf. Dicht an dicht reihen sich Fichten und Tannen, dass einem das festliche Herz höher schlägt. Mittlerweile ist Chuck Anfang siebzig, und obwohl er die eigentliche Arbeit zunehmend an seinen Sohn und seinen Enkel übergibt, lässt er es sich nicht nehmen – wie immer mit einem dicken Zigarrenstummel im Mund, der bei jedem Wort lustig auf und ab hüpft –, voller Besitzerstolz über das Gelände zu flanieren und seinen Kunden kluge Ratschläge zu erteilen.

    »Aber nicht doch, meine Dame, dieser Baum ist nichts für Sie – der ist nur was für Leute, die keinen Geschmack haben. Sie brauchen einen Baum mit Stil . Doch, vertrauen Sie mir – ich weiß, wovon ich rede. Hier, dieser Baum ist wie für Sie geschaffen. Und wegen dem Preis machen Sie sich mal keine Sorgen. Das Preisschild gilt nur für Kunden, die ich nicht mag. Aber Sie mag ich, und deshalb bekommen Sie diesen erstklassigen Baum für glatte fünfzig Dollar. Na, was sagen Sie dazu?«
    Bei Chuck herrscht eigentlich immer reges Treiben, aber heute Morgen kam es mir so vor, als ob jeder im Umkreis von fünf Meilen beschlossen hätte, ausgerechnet an diesem Tag einen Baum zu kaufen. So wie ich.
    »So eine Kiefer wäre auch nicht schlecht«, hörte ich auf einmal eine Stimme dicht hinter mir. Ich fuhr herum, und da stand Ed, eine Leinen-Einkaufstasche von Zabar’s lässig über der Schulter, und grinste mich an. »Frohe Weihnachten!«
    »Was machst du denn hier?«, fragte ich erfreut.
    »Wahrscheinlich dasselbe wie du – mir halbtote, überteuerte Bäume anschauen. Welches arme Geschöpf muss denn dieses Jahr dran glauben?«
    »Blaufichte«, erwiderte ich und reckte trotzig das Kinn. »Und ich bin ja der Überzeugung, dass Weihnachten nur mit einem echten Weihnachtsbaum richtiges Weihnachten ist.«
    »Hätte ich selbst nicht besser sagen können, junge Dame«, rief Chuck, der grinsend aus dem Baumdickicht hervorkam und mir meinen eingenetzten Baum überreichte. »Blaufichte – klasse Baum für eine klasse Frau. Finden Sie nicht auch, junger Mann?«
    »Wenn man so was mag.« Ed gab sich unverbindlich.
    Chuck runzelte die Stirn. »Meint er jetzt den Baum oder Sie?«, fragte er mich, die Zigarre zwischen den Zähnen.

    Ich lächelte milde. »Armer Ungläubiger.«
    Chuck lachte. »Na, dann schöne Weihnachten – Ihnen auch, Sir!« Und damit verschwand er wieder in seinem Nadelwald.
    »Und wie bekommst du das Ding jetzt nach Hause?«, fragte Ed mich. »Rufst du dir etwa ein Taxi?«
    »Nein, ich laufe.«
    Ed musterte den Baum, dann mich. »Du machst Witze.«
    »Nein, ich mache das jedes Jahr«, entgegnete ich, packte das Ende des Stamms und schleifte ihn hinter mir her. Fichtennadeln rieselten in den Schnee. »Das gehört alles zum Zauber von Weihnachten dazu.«
    Ed zeigte sich wenig beeindruckt. »Na dann … Warte, ich helfe dir.« Er schnappte sich das andere Ende des Baums, fluchte leise, als die Nadeln ihn durch die Handschuhe piksten, und wuchtete ihn auf seine Schulter. »Auf geht’s, Duncan!«
    Lachend legten wir die drei Blocks zu meiner Wohnung zurück und freuten uns wie Kinder über die dicken Schneeflocken, die auf unseren Wangen schmolzen. Der Himmel hatte die Farbe von geschmolzenen Marshmallows – weiß mit einem blassrosa Schimmer –, und watteweiche Schneewolken zogen gemächlich über die Wolkenkratzer hinweg. Alle Leute, denen wir unterwegs begegneten, lächelten uns so freundlich an, als ob der Baum, den wir zwischen uns trugen, ein Glücksbringer wäre, der bewirkte, dass meine Nachbarn ihre übliche Zurückhaltung aufgaben und uns allesamt in ihr Herz schlossen.
    Den Baum bis in den dritten Stock zu tragen, war zu zweit weit weniger beschwerlich als allein – und das obwohl Ed wirklich ununterbrochen jammerte. Im Treppenhaus war es tatsächlich ein bisschen eng, aber nach mehreren Anläufen schafften wir es schließlich bis zu meiner Tür, manövrierten
die Blaufichte hindurch und platzierten sie triumphierend an ihrem angestammten Platz im Wohnzimmer. Ed atmete erleichtert auf und ließ sich fix und fertig auf mein Sofa fallen, während ich uns zur Feier des Tages einen Kaffee machte.
    »Und jetzt erzähl mal«, meinte ich, als ich mich neben ihn setzte. »Was hat dich denn heute

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