Die wunderbare Welt der Rosie Duncan
schon gut. Tut mir leid«, versuchte er mich zu besänftigen und streckte die Hand nach mir aus. »Nur … bitte … es wäre wirklich besser, wenn du dich kurz setzen würdest. Mehr wollte ich ja gar nicht sagen. Bitte.« Wieder war da dieser hilflose Ausdruck in seinem Gesicht. Ich zögerte kurz, dann gab ich nach und setzte mich so weit wie möglich von ihm entfernt. »Danke« , flüsterte er. Ich sah auf meine Uhr. Als er wieder sprach, war seine Stimme fast flehentlich. »Bitte, Rosie, sieh mich an.«
»Nein, warum sollte ich? Immerhin habe ich mich schon hingesetzt. Und überhaupt – ich habe mich heute mit dir
getroffen, was wohl auch keine Selbstverständlichkeit ist. Sag einfach, was du zu sagen hast, und dann lass mich gehen. « Stur hielt ich meinen Blick auf den Boden gerichtet.
David fluchte leise. »Okay. Zu deinen Bedingungen natürlich. «
Zu meinen Bedingungen? , fragte die kleine Stimme in meinem Kopf entgeistert. Die letzten sechseinhalb Jahre hast du mir die Bedingungen vorgegeben …
Nur mit Mühe gelang es mir, eine ruhige Miene zu bewahren und mir meine Empörung nicht anmerken zu lassen, als David fortfuhr. »Puh, ist das schwer … Okay, pass auf … Mir wird langsam klar, dass ich wirklich keine Ahnung habe, was du meinetwegen durchgemacht hast. Ich weiß, dass nichts, aber auch wirklich gar nichts, was ich jetzt sage, wiedergutmachen kann, was passiert ist – was ich dir angetan habe … Aber versuchen darf ich es doch, oder?«
Ich merkte, wie er mich ansah. So, wie er mich immer angesehen hatte.
»Klar, es steht dir völlig frei zu schweigen. Schließlich habe ich all die Jahre ja auch nichts von mir hören lassen. Aber zu schweigen heißt ja nicht, dass man nichts zu sagen hätte, Rosie. Obwohl wir danach nie miteinander gesprochen haben, gab es immer ein paar Dinge, die ich dir unbedingt sagen wollte – das musst du mir glauben. Ich habe oft an dich gedacht – wie es dir wohl geht, wie du so zurechtkommst, wo du jetzt bist … Ich hatte angenommen, du wärst nach England zurückgekehrt … Ja, es stimmt, dass ich nie versucht habe, dich zu finden, aber ich wusste ehrlich gesagt auch nicht, wo ich dich suchen sollte … Oder nein … ähm, nein, das stimmt so nicht. Ich hatte Angst , dich zu finden. Die Vorstellung, mit Ben zu reden, oder mit Rosemary, war mir unerträglich. Die beiden hätten mir die Hölle heißgemacht. Und irgendwann schien es mir dann zu spät, so
viele andere Dinge waren passiert, anderes war dazwischengekommen – Rachel beispielsweise … Aber von ihr willst du jetzt wahrscheinlich eher nichts hören. Natürlich nicht. Oh Mann, ich rede vielleicht dummes Zeug! Ich hätte nicht gedacht, dass ich das überhaupt mal sagen würde, aber ich hätte auch nicht gedacht, dich überhaupt nochmal wiederzusehen, aber dann … tja, da bist du jetzt … da sind wir jetzt …«
Unbehaglich rutschte ich auf der Bank nach vorn. Mein Magen krampfte sich zusammen.
»Und jetzt sind sie alle weg, die schönen Worte, die ich sagen wollte und die mir jetzt völlig unangebracht vorkommen. Nate hatte schon Recht: Ich habe es nicht verdient, dass du mir verzeihst. Ich habe es nicht mal verdient, dass du mir zuhörst.«
»Hat er dir das blaue Auge verpasst?« Eigentlich hatte ich diese Frage für mich behalten wollen, aber dann war meine Neugier doch mit mir durchgegangen.
Auch David schien überrascht. Er lachte. »Ja, Nate hat mir einfach eine reingehauen. Hätte ich ihm gar nicht zugetraut. In Yale haben wir immer gescherzt, dass er wahrscheinlich der einzige Mensch ist, der einen Boxkampf rein rhetorisch bestreiten würde.« Sein Ton wurde ernst. »Aber da habe ich mich anscheinend getäuscht. Manchmal macht er wohl auch eine Ausnahme. Für dich beispielsweise.« Seine Worte trafen mich völlig unvorbereitet, und ehe ich es mich versah, drehte ich mich zu ihm um. Als ob er einen Sieg errungen hätte, funkelten seine Augen triumphierend, und er strahlte übers ganze Gesicht. »Sieh an, Ms Duncan … Jetzt kannst du mich ja doch anschauen.«
Wütend stand ich auf. »Ich gehe jetzt nach Hause. Wahrscheinlich hätte ich mich überhaupt nicht mit dir treffen sollen. Gute Nacht, David.«
Ohne einen Blick zurück vergrub ich die Hände tief in meinen Manteltaschen und verließ eilig den Park. David rief mir etwas nach, und ich hörte seine Schritte hinter mir. Kopfschüttelnd lief ich noch schneller, rannte fast um den Block, bis ich endlich die Lichter des U-Bahn-Eingangs vor
Weitere Kostenlose Bücher