Die wunderbare Welt der Rosie Duncan
tatsächlich vergessen, wie viel Freude es machte, mit lebendigen Dingen zu arbeiten: Düfte und Farben miteinander zu kombinieren, Blüten und Blätter zu einer stimmigen Einheit zu verbinden, neue Formen zu kreieren, etwas Schönes zu schaffen und darin einen tieferen Sinn zu finden. Ich stellte fest, dass die vergängliche Schönheit der Blumen ein tief in mir verborgenes Bedürfnis weckte: das Leben und alles Lebendige zu feiern und so schön wie möglich zu machen – so kurz und vergänglich die Freude daran auch sein mochte. Wenn ich meine floralen Kreationen meinen Kunden überreichte, hatte ich stets das Gefühl, mit meiner Arbeit an wichtigen Momenten ihres Lebens teilzuhaben – an freudigen und traurigen Anlässen, an Feiern und Gedenktagen – , und der Gedanke, mit meinen Blumen Teil ihrer Geschichten und ihres Lebens zu sein, war schöner und beglückender als alles, was mir mein früherer Job je gegeben hatte. Mum hatte also Recht gehabt. Und mittlerweile kann ich mir überhaupt nicht mehr vorstellen, jemals etwas anderes sein zu wollen als Floristin.
Um die Mittagszeit ihres großen Tages kam Celia kurz im Laden vorbei, um zu schauen, wie weit ihre kleinen Arrangements schon gediehen waren. Stolz konnte ich ihr berichten, dass wir bis auf zwei Stück fertig wären. Wie eine aufgeregte Dreijährige sprang Celia durch die Werkstatt, jauchzte vor Entzücken, als sie die »pittoresken« Körbchen sah, schwärmte vom »göttlichen, unverkennbar englischen Duft« der Rosen und lobte unser solides Handwerk, dem »Philippe nicht das Wasser reichen könnte«. Nachdem sie einige Minuten alles bestaunt und bewundert und uns versichert hatte, dass viele, viele Aufträge folgen würden, war sie auch schon wieder weg und eilte zu ihrem nächsten Termin.
»Puh.« Ed ließ sich auf den nächstbesten Stuhl fallen und fuhr sich mit der Hand über die Stirn. »Wie hältst du das nur aus, Rosie? Diese Frau hat einfach zu viel Energie.«
»Das frage ich mich auch manchmal. Aber sie hat das Herz am rechten Fleck.«
»Klar, aber bleibt bei diesem Tempo nicht irgendwas auf der Strecke?«
Marnie und ich machten die letzten beiden Blumenkörbchen fertig und betrachteten dann zufrieden unser vollbrachtes Werk.
»Perfekt!«, verkündete ich. »Alles pünktlich fertig.«
Ed runzelte die Stirn. »Halt, Moment – nicht ohne das Kowalski-Ritual.« Er schnappte sich Mr Kowalskis alte Lesebrille aus dem Regal und setzte sie auf, schob sie sich ganz nach vorn auf die Nasenspitze und sprach mit weichem und bedächtigem polnischem Akzent: »So, so … ja, ich glaube, wir könnten wohl fertig sein … oder? Gut! Dann flink aufgeräumt und frisch ans Werk!«
Ich lächelte ihn an. Manchmal fehlte Mr Kowalski mir so sehr, dass es richtig wehtat.
»Kann ich jetzt Mittagspause machen?«, fragte Marnie hoffnungsvoll.
»Ja, klar«, sagte ich und schaute auf die Uhr. »Mach ruhig eine Stunde, du hast die letzten Tage so viel gearbeitet. Viel Spaß.«
Noch während ich sprach, hatte Marnie sich ihre Jacke und ihre Tasche geschnappt und rief mir über die Schulter ein »Danke!« zu, als sie zur Tür hinausstürmte.
Ed schaute ihr belustigt nach. »Auch zu viel Energie«, meinte er. »Muss dieser Typ sein, den sie letzte Woche in ihrer Theatergruppe kennengelernt hat.«
Lächelnd räumte ich Rosenblätter und Raphiabast vom Werktisch. »Ah. Ein neues Kapitel in Marnies Leben …«
»Arme Marnie. Ihr Liebesleben liest sich wie das Drehbuch einer Soap Opera«, fand Ed und fing an, die fertigen Blumengebinde in den Lagerraum zu tragen. »Kürzlich habe ich versucht, es meiner Mutter zu erzählen. Mal sehen, ob ich die Höhepunkte noch zusammenbekomme: Alles fing mit diesem Medizinstudenten an – das ging vier Monate, bis er ihr dann eines Tages sagte, dass er Gynäkologe werden wollte …«
»Immer ein Stimmungskiller.«
»Dann der kleine Italiener, der ihr erzählt hat, er wäre Austauschstudent und komme aus dem wild-romantischen Sizilien – und der eigentlich aus dem wild-romantischen Queens kam.«
»Und der ihr dieses kleine Detail seines Lebens auch erst verraten hat, nachdem sie ihm bereits drei Wochen lang die Sehenswürdigkeiten von New York gezeigt hatte.«
»Nicht zu vergessen der Typ, in den sie sich Hals über Kopf verliebt hatte, und der sich dann als ihr lang verschollener Halbbruder herausstellte.«
Bei der Erinnerung daran mussten wir beide grinsen. Ed
schüttelte den Kopf und schnappte sich die letzten beiden
Weitere Kostenlose Bücher