Die wunderbare Welt der Rosie Duncan
dir das gleich …«
»Ja, hättest du. Tja, mehr zu tun für uns beide. Also los, an die Arbeit.«
Er seufzte tief. »Hör zu, Rosie, ich …«
Ich ging nach hinten. »Es wäre schön, wenn du den Laden machen könntest. Ich muss mit Brent Jacobs’ Bestellung anfangen, die soll um Viertel nach zehn rausgehen.«
»Okay, kein Problem. Ich kann ja schon mal die Bestellungen für nächste Woche durchgehen.« Er klang verletzt.
Glücklicherweise kam in diesem Augenblick der erste Kunde des Tages herein. Er nickte uns freundlich zu und sah sich dann bei den Schnittblumen um. Ich verzog mich schnell in die Werkstatt, machte die Tür hinter mir zu und begann unverzüglich mit der Arbeit. Tränen liefen mir über die Wangen, während ich die Stiele leuchtend gelber Rosen abdornte und von Blättern befreite. Ich versuchte mich ganz auf meine Arbeit zu konzentrieren, damit mir das schreckliche Bild aus dem Sinn ging, das sich beharrlich dort festgesetzt hatte: Mr Kowalski, wie er einsam und allein inmitten
einer Blumenwiese starb, erfüllt von tiefer Traurigkeit über meine Unfähigkeit, ein reiches und erfülltes Leben zu führen.
Ich denke nicht gern daran, wie Mr Kowalski gestorben ist. Während eines Spaziergangs nahe seines Hauses hat er einen Herzinfarkt gehabt. Die Ärzte meinten, es wäre so schnell gegangen, dass er kaum etwas gemerkt haben dürfte, aber die Vorstellung, dass er da draußen ganz allein gestorben ist, lässt mich einfach nicht los.
Während ich an dem Strauß für Brents Frau arbeitete, spürte ich, wie meine Anspannung langsam nachließ. Blumen sind die beste Therapie, sagt meine Mutter immer. Wer sich mit Blumen umgibt, kann gar nicht schlecht gelaunt sein. Wahrscheinlich hat sie Recht. Blumen haben etwas Beruhigendes, fast Heilsames. Das klingt esoterischer, als es gemeint ist. Vielmehr ist es die einfache Schönheit der Natur – ihre Farben, ihr Duft –, die einen anrührt und mit allem versöhnt. Wenn ich gestresst oder überarbeitet bin, versuche ich mir immer Mr Kowalski inmitten dieser Hektik vorzustellen, und schon schalte ich gleich drei Gänge runter.
Ab und an begegnet man im Leben Menschen, die sich als sehr wichtig für einen erweisen. Und damit meine ich nicht, dass sie reich oder berühmt sind oder viele tolle Beziehungen haben oder anderweitig interessant sind. Ich meine jemanden, der einem durch seine bloße Anwesenheit das Gefühl gibt, ein besserer Mensch zu sein.
Mr Kowalski war so jemand. Er schien immer von Ruhe und Frieden umgeben. Er ruhte in sich und wusste, wer er war. Ich kenne nicht viele Leute, die sich ihrer selbst so gewiss sind. Dafür kenne ich viele Leute, die nach genau dieser Ruhe und Erkenntnis suchen – mich eingeschlossen. Mr
Kowalski konnte auch inmitten der größten Hektik Ruhe finden. Einmal mussten wir einen riesigen Auftrag für eine Hochzeitsfeier wirklich kurz vor knapp fertig bekommen, und ich stresste mich so sehr, dass mir nichts – aber auch gar nichts – gelingen wollte. Mr Kowalski schimpfte nicht, er urteilte nicht. Er stand einfach nur neben mir und legte mir den Arm um die Schultern.
»Immer mit der Ruhe, Rosie. Lass dir Zeit. Hör einfach auf Papa.«
Ich begriff nicht, was er meinte. Wie sollte ich denn auf ihn hören? Da ließ ein breites Lächeln sein faltiges Gesicht erstrahlen.
»Hör einfach den Blumen zu, ukochana . Sie sagen nicht: ›Los, beeil dich.‹ Sie quengeln und sie nörgeln nicht. Ihre Farben sagen ›Frieden‹.«
So ganz begriff ich noch immer nicht (bis heute nicht, um ehrlich zu sein), aber ich fing an, mir kleine Pausen zu gönnen, in denen ich mich ganz bewusst an meiner Arbeit erfreute. Und es funktioniert. Erstaunlich gut sogar.
Manchmal vermisse ich Mr Kowalski so sehr, dass es mir in tiefster Seele wehtut.
Es gibt Leute, die kennt man sein ganzes Leben, und doch haben sie wenig Einfluss darauf, wer man ist und was man tut, andere tauchen nur für kurze Zeit neben einem auf und verändern doch alles. Mr Kowalski gehörte eindeutig zu Letzteren. Auf seine eigene unaufdringliche Art hat er die Leben so vieler Menschen beeinflusst. Ich habe es selbst miterlebt: Kunden, mit denen er ins Gespräch kam, die vielen ungezählten Stunden, die er Marnie geduldig zuhörte, als sie neu bei uns angefangen hatte – im Grunde war er eine Art Therapeut gewesen, dem Marnie ihr viel zu großes Herz ausschütten konnte –, und wie er seinen einstigen Lehrling Ed weiterhin unterstützte, ihn ermutigte, das Beste
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