Die wunderbare Welt der Rosie Duncan
aus sich
herauszuholen, seine Kreativität auszureizen, und wie er sich dann mit väterlichem Stolz über jeden noch so kleinen Erfolg freute. Ganz zu schweigen davon, wie sehr er mir geholfen hat.
Gleich am ersten Tag, als ich in den Laden kam, der einmal mein eigener werden würde, hat Mr Kowalski etwas in mir gesehen, das allen anderen zu entgehen schien. Mein Selbstvertrauen war am Tiefpunkt, ich traute mir kaum noch etwas zu, aber Mr Kowalski durchschaute mich. Anders als Ed, Marnie oder Celia hat er mich auch nie gefragt, weshalb ich nach New York gekommen war. Wahrscheinlich hatte er so seine Vermutungen, aber er fragte wie gesagt nie danach und nahm mich einfach so, wie ich war.
Mr Kowalski war uns allen eine Vaterfigur – und noch viel mehr. Er war unser Vertrauter, unser Lehrer und Freund, manchmal auch unser Advocatus Diaboli. Und all das schätzte ich an ihm – und ich brauchte es. Mein Vater war eher selten zu Hause gewesen, und sein Interesse an mir hatte sich in Grenzen gehalten. Als er seine Familie schließlich verließ, erlosch sein Interesse ganz. Das letzte Mal habe ich von ihm gehört, als er mir schrieb, dass er auswandern werde und keinen Kontakt mehr wünsche. Meine Mutter hatte derweil tausend andere Sorgen gehabt – sie musste den Laden am Laufen halten und mit meinem Bruder zurechtkommen, der schon früh ein Talent dafür entwickelte, in Schwierigkeiten zu geraten. Und nachdem Dad sich endgültig aus dem Staub gemacht hatte, waren ihre Sorgen nicht gerade weniger geworden.
Vermutlich hat auch Mr Kowalskis Glaube sein Denken und Handeln geprägt, aber ich fand immer, dass es eher eine Frage der Persönlichkeit war. Ich weiß noch, wie er mich einmal anlächelte, und seine wachen Augen schienen mehr zu sehen, als er jemals sagen würde.
»Ach, Rosie. Immer musst du alles hinterfragen, immer deiner Sache so sicher sein. Es ist gut, Fragen zu stellen und zu zweifeln, aber manchmal muss man auch Dinge einfach hinnehmen, die den eigenen Horizont übersteigen und die man nicht begreifen kann. Ich bin der, der ich bin, weil Papa der ist, der er ist. Ihm zuliebe versuche ich, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Das eine hängt mit dem anderen zusammen, das lässt sich nicht voneinander trennen.«
Nach all den Jahren, in denen er so hart gearbeitet hatte, war Mr Kowalski nur ein Jahr in Warschau vergönnt gewesen, ehe er starb. Mir schien das immer ein ziemlich magerer Lohn für ein langes, entbehrungsreiches Arbeitsleben, aber seine Tochter Lenka schrieb mir nach seinem Tod, dass sie ihn nie glücklicher gesehen hätte als in der kurzen Zeit, die er in seiner geliebten Heimat verbracht hatte. Lenka schickte mir ein schmales, ledergebundenes Album, in dem Mr Kowalski getrocknete Wildblumen gesammelt hatte. Kein Tag sei vergangen, in denen er nicht durch die Wiesen nahe seines Hauses gestreift sei oder an seinen Herbarien gearbeitet habe. Es liegt jetzt auf meinem Nachttisch, und ich nehme es oft zur Hand. Wenn ich Mr Kowalskis handschriftliche Notizen lese, die sich um die wunderschön bewahrten Blumen ranken, fühle ich mich ihm wieder ganz nah.
Ich band den Strauß fertig und warf einen prüfenden Blick darauf. Dann zog ich mir einen Stuhl heran, setzte mich und schaute auf die Uhr: Viertel vor zehn. Müde rieb ich mir die Augen und spürte, wie der fehlende Schlaf der letzten Nacht mich langsam einholte. Ich merkte nicht mal, dass die Tür aufging und Ed hereinschaute.
»Du siehst fertig aus«, meinte er. Ein Friedensangebot war das noch nicht, aber immerhin Aussicht auf einen Waffenstillstand.
»Bin ich auch. Ich habe schlecht geschlafen. James ist für ein paar Tage zu Besuch, und ich scheine sogar im Schlaf zu merken, dass er da ist.«
Ed hielt mir einen Kaffeebecher hin. »Soll ich dir von Old Faithful bringen.« Ich meinte die Andeutung eines Lächelns zu erkennen. »Darf ich reinkommen?« Er stand noch immer etwas zögerlich an der Tür.
»Ja, klar.« Ich stand auf und ging ihm entgegen. »Danke.«
»Wenn du willst, fahre ich die Bestellung von Mr Jacobs aus. Ich … ähm, ich würde auch gern einen kurzen Abstecher nach Hause machen – war heute noch nicht unter der Dusche.«
»Kein Problem. Lass dir ruhig Zeit.«
Ed nickte und wollte gehen. An der Tür drehte er sich nochmal um. »Du weißt, dass du die beste Freundin bist, die ich habe, oder?«
Was er vorhin gesagt hatte, schmerzte noch immer, aber ich lächelte. »Ja, weiß ich.«
»Neuigkeiten, Rosie!«,
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