Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Wunderheilerin

Die Wunderheilerin

Titel: Die Wunderheilerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
Vom Netzwerk:
Sachen zog vorbei. Einer Frau lief Blut über die Stirn, ein Mann wurde von zwei anderen gestützt.
    «Was ist los? Seid Ihr überfallen worden?», schrie eine der Frauen.
    Ein junges Mädchen, dessen Gesicht vom Weinen rot und fleckig war, schüttelte den Kopf. «Aus der Grimmaischen kommen wir, wollten zur Michaelismesse. In Zuckelhausen, nicht weit von hier, tobt eine Schlacht. Die Söldner wüten, als gäbe es kein Morgen mehr. Ein Junge hat sich schützend vor die Bauern gestellt. Doch ein unglückseliger Bauer hat ihn im Eifer des Gefechts für einen Söldner gehalten und ihn mit einem Dreschflegel erschlagen.»
    Als Priska diese Worte hörte, gefror ihr das Blut. Sie drängte sich zwischen die Huren ans Fenster. «Wer war der Junge? Kennt Ihr seinen Namen? Wie sah er aus? Wie war er gekleidet? War es ein Bauernsohn?»
    Das junge Mädchen schüttelte den Kopf. «Er war ungefähr so alt wie ich. Die Farbe seiner Haare habe ich nicht erkennen können; alles war voller Blut. Man sagt, er käme aus der Stadt. Ein Priester kniete neben ihm und weinte», berichtete sie.
    «Aurel!»
    Priskas Schrei ließ die Huren verstummen. «Der Sohn meiner Schwägerin ist dort draußen!» Ohne weiter zu warten, raffte sie ihre Röcke und lief so schnell sie konnte zurück in die Stadt. Sie drängte sich durch die Karren der Bauern am Stadttor, stieß zwei Nonnen zur Seite, stolperte über einen schlafenden Hund und lief, bis sie am Rathaus angekommen war. «Ist mein Mann im Verlies?», schrie sie die Büttel an. «Ist er hier?»
    Die Stadtknechte nickten, und schon drängte sich Priska an ihnen vorbei und rannte hinunter ins Verlies.
    «Adam», schrie sie so laut sie konnte durch die dunklenGänge. «Adam, komm schnell, Aurel ist etwas geschehen.» Wenig später rannte sie hinter Adam her über den Marktplatz zum nächsten Mietstall.
    Die Pferde waren schweißgebadet, als sie in Zuckelhausen ankamen. Ohne nach einer Tränke zu suchen, sprangen Priska und Adam ab und hasteten durch das verlassene Dorf. Eine unheimliche Stille lag in der Luft.
    Als sie die letzte Hütte hinter sich gelassen hatten und auf ein Stück Feld kamen, sahen sie das Ausmaß des Unheils.
    Verletzte Männer warfen sich, brüllend vor Schmerzen, auf dem Boden herum. Einem steckte ein Messer im Hals, einem anderen hingen die Eingeweide aus dem Leib.
    Eine Frau schrie hysterisch und rüttelte an einem Mann, der bewegungslos am Boden lag.
    «Aurel», schrie Priska. «AUREL!»
    Doch niemand antwortete ihr.
    Adam kniete schon neben einem Verwundeten, riss Stoff von dessen Hemd und verband ihm den Kopf, doch Priska schüttelte ihn an der Schulter.
    «Lass den Mann. Wir müssen Aurel finden.»
    «Priska, ich kann ihn doch nicht verbluten lassen!», entgegnete Adam.
    «Es geht um deinen Neffen, Adam. Lass die Bauern. Sie sterben ohnehin. Such Aurel.»
    Und wieder stellte sie sich hin, formte die Hände zu einem Trichter vor ihrem Mund und schrie den Namen von Evas Sohn. Wieder bekam sie keine Antwort, hörte nur das Röcheln und Jammern der Verwundeten, das Weinen der Frauen.
    «Johann!», schrie sie nun. «Wo seid Ihr um Gottes willen?»
    Endlich entdeckte sie den Priester. Er kniete neben einer Gestalt, deren Kopf ein einziger blutiger Klumpen war.
    Priska rannte zu ihm, fiel neben dem Priester zu Boden und schrie auf. «Aurel! Aurel, jetzt sag doch etwas.»
    Johann von Schleußig versuchte sie zu beruhigen. «Er ist tot, Priska. Wir können ihm nicht mehr helfen.»
    Inzwischen war auch Adam dazugekommen. Ein Blick genügte ihm, um die bittere Wahrheit festzustellen. Behutsam hob er den Jungen auf, trug ihn auf seinen Armen zurück zum Dorf und bettete ihn vorsichtig auf sein Pferd.
    Johann von Schleußig und Priska folgten ihm. Johann nahm Priskas Pferd, schwang sich herauf und zog Priska hoch. Schweigend ritten sie zurück zur Stadt. Nur einmal fragte Priska unter Tränen: «Ist es das alles wert? Wenn Luther und wenn ihr aus der Fraternität Recht habt, warum lässt Gott dann Unschuldige sterben?»
    Keiner sagte etwas. Doch in Johann von Schleußigs Augen stand Zorn. Schließlich sagte er: «Aurel ist nicht wegen der Bauern gestorben. Nicht Luther ist schuld an seinem Tod, nicht der Bauer, der den Dreschflegel geschwungen hat. Es war ein Unglück, Priska. Der Mann hat ihn für einen der Söldner gehalten. Schuld an seinem Tod sind die, die es so weit haben kommen lassen. Schuld sind die Herren, die Grundbesitzer und alle anderen, die sich auf Kosten der Armen

Weitere Kostenlose Bücher