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Die Wunderheilerin

Die Wunderheilerin

Titel: Die Wunderheilerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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Gentzsch erst im vorletzten Jahr diese Leitung gebaut hat.»
    Priska hörte es, doch die Worte drangen nicht in ihr Bewusstsein.
    Die Beginen, Frauen, die in klösterlicher Gemeinschaft miteinander lebten, saßen in der Nähe und versorgten die, denen der Rauch die Lungen gefüllt hatte, und die, die sich verbrannt hatten. Die Paulinermönche rannten kopflos hin und her.
    Einmal hielt Priska inne, hielt einen von ihnen am Ärmel fest. «Reimundus, wo ist er?»
    Der Mönch zuckte mit den Achseln, eilte weiter.
    «Lebt er? Ist er dem Feuer entkommen?», schrie Priska hinter ihm her.
    Der Mönch antwortete nicht. Priska hielt den nächsten fest, fragte wieder. «Er lebt», bekam sie zur Antwort. «Alle haben sich retten können.»
    Plötzlich ging ein Schrei durch die Menge, so durchdringend, dass er den Lärm übertönte. Wie auf einen unsichtbaren Befehl hin blieben die Leute stehen, sahen nach dem Rufer.
    «Dort kommt er», schrie ein Mann. «Dort geht der Verdammte!! Seinetwegen hat Gott das Feuer geschickt!»
    Priskas Blickte folgten dem ausgestreckten Arm des Rufers. Adam! Er kam mit zwei Eimern über den Markt. Der Schrei lähmte ihm die Beine. Er blieb stehen, die Eimer an den Armen hängend, und sah zu dem Mann. Plötzlich flog der erste Stein. Adam zog den Kopf ein. Dann kam der nächste. Adam ließ die Eimer fallen, riss die Arme schützend über den Kopf. Der Stein traf die Hand, Adam schrie auf. Schon wieder kam ein Stein, und sogleich prasselte ein ganzes Geschwader Wurfgeschosse auf ihn nieder.
    «Nein!», schrie Priska, riss einer Alten, die mit einem Holzscheit nach Adam zielte, die Hand herunter, dass die Alte aufschrie vor Schmerz.
    «Nein!», schrie sie wieder, rannte zu Adam, stellte sich vor ihn, breitete die Arme aus. «Nein!»
    Jetzt kam auch Johann von Schleußig, schützte Priska mit seinem Körper, barg Adam und das Mädchen hinter der Soutane.
    «Wer ohne Schuld ist, werfe den ersten Stein», schrie er, so laut er konnte. «So steht es in der Schrift. Wollt Ihr Euch alle versündigen?»
    Ein Stein kam, ein Holzscheit noch, dann wandten sich die Ersten ab, gingen zurück zum Brunnen.
    «Ich bringe Euch nach Hause, Adam», sagte Johann von Schleußig, strich Priska sacht dabei über den Arm. «Bist du verletzt, Mädchen?»
    Priska schüttelte den Kopf, doch sie log. Alles in ihr schrie vor Schmerz. Sie stand wie erstarrt, sah dem Priester hinterher, der dem Bruder der Silberschmiedin einen Zipfel der Soutane um die Schulter gelegt hatte, um anzuzeigen, dass Adam unter dem Schutze der Kirche stand.
    Eine Begine kam, nahm Priska beim Arm. «Kommt, geht nach Hause, Fräulein. Ihr werdet nicht mehr gebraucht. Das Feuer ist fast erloschen. Geht, schlaft Euch aus. Ihr seht erschöpft aus.»
    Priska nickte, ihre Arme waren plötzlich bleischwer, die Augen brannten, der Hals kratzte. Sie sah auf ihre Hände, die schwarz waren vom Ruß, wischte über das Gesicht, das sich schmierig anfühlte. Ein Stein hatte sie an der Brust getroffen. Behutsam strich sie über die wehe Stelle, doch sie spürte nur den rasenden Schlag ihres Herzens.
    Sie rutschte in ihren Holzpantinen hin und her, vor Müdigkeit nicht mehr in der Lage, gerade Schritte zu machen. Ihre Schultern schmerzten, von den Knien lief Blut. Sie hatte nicht bemerkt, dass sie gestürzt war.
    Langsam ging sie zurück zur Hainstraße, blind und taub vor Angst. Sie sah die Menschen nicht, die ihr nachschauten, sah auch die Hand nicht, die nach ihrem Arm griff. Sie hörte die Glocken nicht, nicht die Stimmen, die nach ihrriefen. Das Einzige, was sie hörte, war die Stimme in ihrem Inneren. Sie schlug die Hände über die Ohren, doch damit brachte sie sie nicht zum Schweigen. Es war nur ein einziger Satz, den die Stimme in ihr schrie: «Wenn das Paulinerkloster in der Nacht nach Adams Beichte brennt, so ist das ein Zeichen Gottes; er hat ihm nicht vergeben.»
    Als sie vor dem Haus stand, sah sie nach oben zum Himmel. Ein erster zartrosa Schein mischte sich unter die Dunkelheit. «Komm, Morgenröte», flüsterte Priska. «Komm schneller als sonst.» Dann ging sie ins Haus, hielt sich schwer wie eine alte Frau am Geländer, fiel, schmutzig und nach Rauch riechend, wie sie war, auf das Bett, streifte nur die Holzpantinen von den Füßen. Dann faltete sie die Hände, um zu beten, doch bevor sie ihr Wort an Gott richten konnte, war sie schon eingeschlafen.
     
    Am nächsten Morgen erwachte Priska mit dröhnendem Kopf. Noch immer trug sie das schmutzige

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