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Die Wunderheilerin

Die Wunderheilerin

Titel: Die Wunderheilerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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wirklich, er ist vollkommen unempfänglich? Oh, nein, so ist es nicht. Er ist nur noch nicht an die richtige Frau geraten.»
    «Glaubst du, was du sagst?»
    Regina lachte spöttisch. «Frag die Huren im Frauenhaus. Sie müssen es wissen, und sie haben mir bestätigt, dass jeder Mann schwach wird, wenn die richtige Frau kommt.»
    «Bist du die Richtige?», bohrte Priska weiter und wunderte sich selbst über ihre Hartnäckigkeit.
    «Wer sonst? Du etwa?»
    Ja, hätte Priska am liebsten gesagt. «Ja», hätte sie durch das ganze Haus, die ganze Stadt rufen mögen. «Ich bin dieRichtige für Adam. Nicht du und dein üppiger Busen. Nicht du und dein kecker Hintern. Ich! Ich! Ich! Denn ich verstehe ihn, ich kann ihm helfen bei seiner Arbeit, bei seinem Leben. Vor mir bräuchte er sich nicht zu fürchten, er müsste sich nicht sorgen, dass ich ihn für einen anderen verraten würde, der mehr Gulden in der Tasche hat. Und ich hätte endlich einen Platz in dieser Welt.»
    Doch all das sprach sie nicht aus. Sie nickte nur, und huschte dann in ihre Kammer. Ein unbändiges Bedürfnis nach einem Augenblick der Ruhe war über sie gekommen. Sie stellte sich vor die Platte aus poliertem Metall und betrachtete sich darin. Sie sah eine junge Frau, deren Augen glühten. Doch es war nicht die Glut der Liebe, die darin brannte. Es war etwas anderes. Etwas, das Priska in sich fühlte, aber nicht benennen konnte.
    Sie war die Richtige für Adam. Ja, das war sie. Heute hatte sie geholfen, ein Kind zur Welt zu bringen. Heute hatte sie etwas von dem gesehen, was man den Mythos Weib nannte. Sie war stolz und froh. Nicht das schönste Silberstück, das sie gefertigt hatte, hatte sie so glücklich gemacht. Silber war tot, sie aber wollte mit dem Leben arbeiten. Geahnt hatte sie es schon lange, nun wusste sie es. Und Adam war Arzt. Er war der Hüter des Lebens. Und deshalb war er der Richtige für sie.
    Von draußen wurden Rufe laut. Rasch ordnete Priska ihr Haar und ging zurück an ihre Arbeit. In der Küche traf sie nur noch die Männer an, die Nachbarinnen und Freundinnen hatten sich in der Wohnstube versammelt. Eine jede ließ die Geburt ihrer eigenen Kinder noch einmal in der Erinnerung ablaufen. Dann aber sprach die Hebamme. Die anderen Frauen wurden still. «Aus der Nachgeburt, Ihrwisst es, lässt sich leicht die Zukunft des Neugeborenen ablesen, wenn man sich darauf versteht.»
    «Und? Habt Ihr etwas lesen können darin?», fragte Ute Lechnerin, Evas beste Freundin.
    Die Hebamme nickte und seufzte. «Was stand darin?», fragten nun auch die anderen.
    Die Hebamme schlug ein Kreuzeszeichen und seufzte noch einmal. «Dem Jungen ist kein Glück beschieden. Von seinem Tod las ich im Blut der Mutter.»
    «Ein jeder Mensch muss sterben. Die Geburt ist der Anfang des Lebens, der Tod das Ende», warf Priska ein. Die anderen sahen sie an. Es ziemte sich nicht, dass ein Lehrmädchen das Wort ergriff. Nur heute durfte Priska dies wagen. Heute war sie die Geburtshelferin gewesen, heute war sie ihnen gleichgestellt, hatte ihren Platz bei den Frauen.
    «Ach was?», schnappte die Hebamme und stemmte die Fäuste in die Hüften wie eine Wäscherin. «Und warum steht es nur bei ihm und nicht bei den anderen Neugeborenen? Kannst du mir das sagen, Henkerstochter?»
    Priska schüttelte den Kopf, doch leise antwortete sie: «Wenn ein Mensch die Zukunft eines anderen lesen kann, dann schwingt er sich auf zu Gott.»
    «Was? Wie? Willst du mich etwa der Gotteslästerung bezichtigen?», erregte sich die Hebamme.
    «Beruhigt Euch», beschwichtigte die Lechnerin, die Priska und Regina gemeinsam mit der Begine Hildegard in Latein, Lesen und Schreiben unterrichtet hatte. «Priska meint es nicht so. Sie ist jung und weiß noch wenig von der Welt.»
    Ute Lechnerin zwinkerte Priska zu, und Priska verstand den Hinweis. Die Hebamme war eine mächtige Frau. Siewar in vielen Häusern der Stadt zu Gast, halb Leipzig war durch ihre Hilfe zur Welt gekommen. Die Lechnerin wollte sie schützen. Nein, nicht sie, nicht die Henkerstochter, sondern das Haus der Silberschmiedin. Priska dachte an Adam. Die Lechnerin hatte Recht. Sie mussten alles vermeiden, was Aufmerksamkeit erregte. Hier in diesem Haus lauerten zu viele dunkle Geheimnisse.
    «Entschuldigt», sagte Priska brav und senkte den Kopf. «Die Geburt hat mich wohl so erschöpft, dass meine Gedanken durcheinander geraten sind. Natürlich wisst Ihr, Hebamme, weit mehr über die Geheimnisse der Frauen und der Geburten als jede

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