Die Wunderheilerin
uns aus der Vorstadt geholt und seid nun verantwortlich für uns. Für uns und für unser Seelenheil.» Mit diesen Worten öffnete Regina die Tür und schlüpfte hinaus.
«Sie hat Recht», sagte Johann von Schleußig. «Eva, Ihr könnt sie nicht zurückschicken. Und Ihr könnt sie auch nicht zwingen, Adam zu heiraten. Die ganze Stadt wäre auf ihrer Seite, würdet Ihr es versuchen. Mehr Schaden als Nutzen brächte ein Zwang.»
«Und nun? Was soll nun werden? Was wird mit Adam? Priester, Ihr dürft nicht zulassen, dass er auf den Scheiterhaufen kommt. Ihr müsst mit den Leuten reden, müsst ihnen von der Kanzel aus zurufen, dass der Brand nicht von Gott für Adams Sünden geschickt worden ist.»
Johann von Schleußig schüttelte den Kopf. «Das kann ich nicht, Eva. Und Ihr wisst es.»
«Dann», sagte Priska leise, aber mit fester Stimme und erhob sich, «werde ich an Reginas Stelle vor den Altar treten und Adams Frau werden.» Das Lächeln auf ihrem Gesicht war offen und unschuldig.
«Tu es nicht, ich bitte dich. Tu es nicht; du bist doch meine Schwester, mein Zwilling. Wir haben eine geteilte Seele.»
Regina hatte beide Hände Priskas gegriffen; ihr Gesicht war nass von Tränen.
Priska machte sich los, strich mit der Faust die Tränen vom Gesicht der Schwester. «Wenn du dich nicht an dein Wort hältst und Adam heiratest, so werde ich mit ihm vor den Altar treten.»
«Das kannst du nicht, darfst du nicht», flüsterte Regina. «Er ist verdammt. Wirst du seine Frau, bist auch du verdammt. Und ich mit dir, weil wir zusammengehören.»
«Dankbar solltest du mir sein, dass ich dir die Hochzeit abnehme und Eva dich nicht zwingen muss.»
Priska wandte ihrer Schwester den Rücken zu und ging zum Fenster. Auf den Gassen der Stadt war alles wie immer. Die Mägde standen am Brunnen und tratschten. Händler schoben ihre hölzernen Karren, beladen mit Kohlköpfen, Fässern und Holz, zum Markt. Ein Scherenschleifer kam um die Ecke und bot lauthals seine Dienste an. Zwei magere Katzen balgten sich um ein Stück schimmeligen Brotes. Die Sonne schien, der Wind hatte die Erinnerung an den Brand längst aus der Stadt getrieben.
«Du verzichtest plötzlich auf Kutsche und Mandelmilch, auf weißes Brot und ein gutes Leben?», fragte Priska und hörte selbst den leisen Hohn in ihrer Stimme.
«Darum geht es nicht. Es geht um unser Seelenheil», erwiderte Regina und schluchzte.
«Dein Seelenheil hat dich einen Dreck gekümmert, als du die Kutsche und die süße Milch vor Augen hattest. Und mein Seelenheil war dir schon immer gänzlich gleichgültig.»
«Warum? Sag mir, warum du ihn heiraten willst?»
«Wir stehen in der Schuld der Silberschmiedin. Sie hatuns vor der Vorstadt gerettet. Verdammt gewesen wären wir, hätte sie uns nicht vom Henker geholt. Nun müssen wir die Schuld begleichen. Eine von uns muss Adam heiraten, sonst stirbt er auf dem Scheiterhaufen.»
Das war nicht die ganze Wahrheit, vielleicht noch nicht einmal die halbe. Priska wusste es, aber sie hatte Regina immer nur das anvertraut, was diese unbedingt wissen musste.
«Die Schuld begleichen mit unserem Seelenheil?», fragte Regina. Sie stellte sich neben Priska ans Fenster, griff nach ihrer Hand. «Nein! Das kann niemand verlangen. Auch die Meisterin nicht.»
Wieder entzog sich Priska. «Was redest du da von Seelenheil?», fragte sie leise. Sie konnte die Verächtlichkeit, die schon wieder unter ihren Worten lag, auch diesmal hören. «Du, Regina? Wann hast du dich je um dein Seelenheil gekümmert? Du hast mit der halben Stadt gehurt, du hast gelogen und betrogen, warst neidisch und der Völlerei zugetan. Hast du jemals nach meinem Teil unserer gemeinsamen Seele gefragt? Nein. Nun, jetzt wirst du dich abfinden müssen mit dem, was ich tue. Ich werde Adam heiraten.»
Sie drehte sich halb, sodass sie der Schwester ins Gesicht sehen konnte. «Ich werde Adam nicht nur heiraten, sondern ich werde obendrein glücklich werden mit ihm. Und dies mit ganzer Seele.»
Regina blieb stumm. Sie hat Angst, dachte Priska. Sie hat wahrhaftig Angst. Ein tiefes Gefühl der Befriedigung überkam sie. Endlich und zum ersten Mal hatte sie das Gefühl, etwas für sich selbst entschieden zu haben. Regina gegenüber hatte sie kein schlechtes Gewissen. Regina wäre mit Adam niemals glücklich geworden und er nicht mit ihr.Sie aber, da war sie sich sicher, war die Richtige für Adam. Sie brauchte keinen Mann, der ihr den Kopf verdrehte und den Schoß in Brand setzte. Sie
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