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Die Wunderheilerin

Die Wunderheilerin

Titel: Die Wunderheilerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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Bräutigam sprachen nach, legten die Hände ineinander.
    Nun waren sie Mann und Frau. Nun hätten sie die Kirche, an deren Tür sich die Gaffer drängten, verlassen können. Nun hätte auch Bärbe die Hände vom Kopf nehmen können, denn die Kirche war nicht über ihnen eingestürzt. Doch Johann von Schleußig war noch nicht fertig. Eine Rede hielt er, sprach, als der Zunftmeister hätte sprechen sollen.
    «Ich spreche nicht von Gott», sagte, nein, donnerte er durch das Kirchenschiff, sodass auch die Gaffer an der Tür zusammenzuckten. «Ich spreche nicht von der Bibel, nicht von der Kirche oder gar dem Teufel. Ich spreche zu euch, Menschen, und ich spreche über Menschen, darüber, wie ihr einander richtet. In der Schrift steht: Der ohne Schuld ist, werfe den ersten Stein. Wir alle aber sind nicht frei von Schuld. Suchen sollten wir nicht nach dem Splitter im Augedes anderen, sondern nach dem Balken, der uns den Blick verstellt. Wir alle sind Kinder unserer Zeit, wir alle sind Kinder Gottes. Gemacht nach seinem Ebenbild. Und wir wollen uns unserem Schöpfer würdig erweisen und uns der neuen Zeit gewachsen zeigen.»
    Johanns Worte zeigten Wirkung. Die Schultern strafften sich, die Mundwinkel zeigten nach oben, als die kleine Gesellschaft die Kirche verließ.
    Einer stand vor der Tür, noch nicht lange Meister in der Gold- und Silberschmiedezunft, der warf seinen Hut in die Luft und klatschte. Die Lechnerin stimmte ein, schlug die Hände gegeneinander, bis sie brannten. Dann die Magd von nebenan, der Eva hin und wieder ein Ei geliehen hatte, die Wäscherin, die früher in Diensten gewesen war, der Bäckermeister, ein Lehrbube. Andere verzogen die Gesichter und wandten sich ab. Sie waren gekommen, um sich am Unglück des Brautpaares zu weiden und darüber das eigene zu vergessen. Damit hatten sie keinen Erfolg gehabt. Ein kleines bisschen Glück war unbemerkt in die Gesellschaft geschlüpft.
    Eva hatte den großen Saal des Rathauses für die Feier gemietet. Und sie hatte eingeladen, als wäre es das letzte aller Feste. Alle Handwerker der Zunft, die Geistlichen des Chorherrenstiftes, die Kaufleute, Studenten und Professoren, Ratsherren, Ärzte, Advokaten. Und die meisten waren gekommen. Die Neugier hatte sie angetrieben.
    Der große Raum war erfüllt vom Duft der üppigen Blumengestecke, vom Rauch der echten Bienenwachskerzen und den Duftwässern der Männer und Frauen. Die Tafeln bogen sich unter den leckersten Gerichten. Braten vom Schwein und vom Rind, Wildbret und Fisch, Früchte, achtSorten Brot, dazu Käselaiber, die so groß waren wie Fassdeckel, geräucherte Würste, knackige Schinken und allerlei Kuchen. Eva hatte die beste Gastwirtschaft der Stadt beauftragt, das Hochzeitsmahl zu richten. Fässer mit Wein waren herbeigerollt worden, gewürztes Bier in Hülle und Fülle. Auch die Musikanten, die Stadtpfeifer, waren erschienen und spielten nach dem Essen zum Tanz.
    Priska aber fühlte sich unwohl auf diesem Fest zu ihren Ehren. Sie wagte kaum zu lächeln. Sie kannte weder die Tänze, die gespielt wurden und bei denen die Paare sich in Quadraten zusammenfanden, knicksten und sich geziert bewegten, noch die Lieder, die gesungen wurden und keineswegs so derb waren wie die Lieder der Vorstadt oder die Küchenlieder der Mägde. Von den Speisen hatte sie noch fast gar nichts gekostet.
    «Da, nimm dir davon», forderte Eva sie auf und deutete auf einen großen, sattgelben Kuchen. «Er ist mit Safran gebacken. Und nimm auch von den Ingwerstäbchen.»
    Priska nahm ein solches Stäbchen, biss vorsichtig hinein und hätte sich am liebsten geschüttelt. Noch nie hatte sie etwas mit Safran oder Ingwer gegessen.
    Auch die Geschenke bereiteten ihr mehr Angst als Vergnügen. Wozu in aller Welt brauchte man diese Gabeln, die der Zunftmeister als das Neueste aus Florenz gepriesen hatte? Was tat man damit? Gegessen wurde mit dem Löffel, geschnitten mit dem Messer. Was denn sonst? Sie schüttelte leise den Kopf und seufzte. Wo in aller Welt war sie hier hingeraten? War sie überhaupt in der Lage, eine Arztgattin zu werden? Mein Gott, ich bin doch nur eine Henkerstochter, dachte sie unglücklich.
    Doch bevor sie sich darüber noch mehr Gedanken machenkonnte, war schon die Zeit gekommen, sich zu verabschieden. Nun würde sie mit Adam in ihr neues Reich einziehen und mit ihm die Hochzeitsnacht verbringen.
     
    Ihre wenigen Sachen hatte Priska schon am Tage zuvor gepackt: zwei Kleider, zwei Paar Holzpantinen, Nachtwäsche, einen

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