Die Wunderheilerin
Flüsse trockneten aus, das Obst schrumpelte am Baum.
In der Stadt herrschte ein so höllischer Gestank, dass manch einer sich die Nase zuhielt. Die Abfälle in den Gräben neben den Häusern faulten so schnell, dass man zuschauen konnte, und füllten die Luft mit dem Geruch der Verwesung. Fliegenschwärme zogen durch die Gassen. Die Hunde lagen matt im Rinnstein, zu träge, um die Fliegen, die sich ihnen in die Augenwinkel setzten, zu verjagen.
Die Menschen gingen gebeugt, als drücke ihnen die Hitze die Schultern nieder. Sie hielten sich eng an den Hauswänden, um Schatten zu suchen. Die Blätter der Bäume verloren jede Farbe, wurden grau, die Wiesen gelb verbrannt. Jeden Tag wurden in den beiden Stadtkirchen St. Thomas und St. Nikolai Messen abgehalten, bei denen die Menschen um Regen baten.
Die Hitze legte sich auf die Gemüter. Obwohl die Menschen träge waren, entbrannte doch bei jeder Kleinigkeit ein Streit. Meister schlugen die Lehrbuben, Mütter die Kinder, die Männer versetzten den Frauen Maulschellen, weil die Suppe zu heiß war, die Alten starben und begannen zu riechen, noch bevor die Leichenträger den Sarg vernagelthatten. Die Stadtärzte eilten hin und her, doch auch sie konnten das Geschrei der Säuglinge und das Wehklagen der Alten nicht lindern.
Sogar der Probst des Augustiner-Chorherrenstiftes nahm ein Tuch mit in den Beichtstuhl, mit dem er sich immer wieder über das Gesicht wischte.
Priska ließ den ganzen Tag die Haustür offen stehen, in der Hoffnung, dass der Durchzug ein wenig Kühlung schaffte. Seit Wochen lebte sie in ihrem neuen Zuhause, und jeden Tag freute sie sich von neuem über die Dinge, die nun ihr gehörten. Am Morgen, wenn sie erwachte, fiel ihr Blick zuerst auf die Kommode aus Kirschholz, auf der ein Spiegel stand. Ein richtiger Spiegel von venezianischem Glas, den Adam von seiner Stiefmutter geerbt hatte. Links daneben war ein Armlehnstuhl mit sonnengelbem Polster. An der Wand neben dem Bett hing ein Wandteppich, der ebenfalls aus Italien stammte. Das Bett selbst war reich geschnitzt und hatte einen Baldachin aus rotem Stoff, der im Winter die Kälte und im Sommer das Ungeziefer abhielt. Rechts in der Ecke gab es sogar einen Kamin, vor dem ein weicher Teppich lag. Die Fensterscheiben waren aus Butzenglas, davor blühten Geranien in einem Fensterbeet.
Priska streckte sich, dann glitt das erste Lächeln des Tages über ihr Gesicht. Ich bin eine verheiratete Frau, dachte sie, bin die Frau eines Bürgers geworden mit Brief und Siegel.
Niemand kann mir mehr vorschreiben, was ich zu tun und zu lassen habe, dachte sie. Ich bin frei, bin endlich frei von meiner Vergangenheit, von meiner Herkunft. Aber frei wofür?
Sie stand auf, schlüpfte in ihre Schuhe, die aus weichem Ziegenleder gefertigt waren, wusch sich mit einer duftenden Seife, zog sich ein Kleid aus leichtem Tuch an und ging hinunter in die Küche, die zu ebener Erde lag und einen Ausgang zu einem kleinen Gärtchen hatte, in dem sie Pflanzen und Kräuter zog.
In der Küche gab es Borde mit tönernem Geschirr, Kupferkessel und Kupferpfannen, die an einem Gestell neben der Kochstelle hingen und blank geputzt in der Sonne strahlten. Kräuterbündel hingen daneben und verliehen dem Raum einen würzigen Geruch. Der große Tisch war aus hellem Holz und ordentlich mit Sand gescheuert, die Milchkannen gut gefüllt, das Wasser frisch aus dem Brunnen hinter dem Haus. In der Vorratskammer hingen geräucherte Würste neben Speckschwarten, Körbe mit Äpfeln standen neben einem Fass mit Kraut; Eier, Butterstücke, Erbsen, Bohnen, Salz, Hirse und die Zutaten zu einer guten Grütze waren ebenfalls in Fülle vorhanden.
Die Magd, ein junges Mädchen, das ihnen die Lechnerin geschickt hatte, war von heiterem Gemüt. Den ganzen Tag klangen Küchenlieder durch das Haus.
Als Priska heute nach unten kam, saß Adam schon am Tisch und hatte eine Schüssel Hafergrütze vor sich. Er stand auf, begrüßte seine Frau mit einem Kuss auf die Wange.
«Wie hast du geschlafen, meine Liebe?»
«Danke. Sehr gut. Und du?»
Adam nickte.
Die Magd füllte etwas Grütze in eine Schale und drehte den beiden den Rücken zu. Adam lächelte Priska an. Es warein Lächeln, das auf Priska fiel wie ein Sonnenstrahl. Er fasste nach ihrer Hand, strich sanft darüber.
«Mein Leben ist schöner geworden durch dich», sagte er leise.
Die Magd stellte die Schale vor Priska. «Ich gehe zum Markt», sagte sie. «Wir brauchen Fleisch und Käse.»
Priska
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