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Die Wunderheilerin

Die Wunderheilerin

Titel: Die Wunderheilerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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entsprach der gelben Galle und stand für trocken und warm; Luft gehörte zu Blut und fühlte sich feucht und warm an. Dem Wasser war der Schleim zugeordnet, und dies war wiederum eine feuchte und kalte Angelegenheit. Die Erde bildete mit der schwarzen Galle eine Einheit und stand für trocken und kalt. Galenus hatte in seinem Buch diese Säfte den Charaktereigenschaften des Menschen zugeordnet. Ein Sanguiniker, der mit dem Blut verbunden war, galt als angenehmer Zeitgenosse. Sein Urin, schrieb Galenus, war rotgolden. Der Melancholiker als übel gelaunter und verschlagener Mensch war am grauen Urin zu erkennen und entsprach der schwarzen Galle, während der Phlegmatiker für den Schleim und der Choleriker für die gelbe Galle stand.
    Priska wunderte sich. Sie kannte keinen einzigen Menschen, der nur Choleriker oder nur Melancholiker war. Irgendetwas erschien ihr nicht richtig. Am Abend fragte sie Adam danach.
    Sein Blick war bewundernd, so wie damals im Wäldchen hinter den Uferwiesen. «Du bist sehr klug, Priska. Manchmal scheint mir, du hast alles Wissen der Welt in dir, ohne je eine Universität besucht zu haben.»
    Priska errötete, dann fragte sie erneut: «Glaubst du an die Lehre der Säfte?»
    Adam schüttelte den Kopf. «Nein, das tue ich nicht. Aber es ist gefährlich, dies zuzugeben. An allen Universitäten in Europa gilt diese Lehre als das Alpha und das Omega. Ich aber habe auf meinen Reisen vieles erfahren, was kein Gelehrter mir gesagt hatte. Ich habe mit Abdeckern und Scharfrichtern, mit Hebammen, Kutschern, Bergleuten, Söldnern und immer wieder auch mit den Bauern geredet. Weißt du, Priska, ich habe schon zu viele Krankheiten gesehen, die sich nicht mit der Säftelehre in Übereinstimmung bringen ließen.»
    «Und die anderen Ärzte? Was denken sie?»
    Adam zuckte die Achseln, lächelte ein wenig. «Viele Ärzte wissen es, aber niemand spricht es aus. Es ist nicht leicht, gegen die herrschende Lehrmeinung zu handeln. Die Regeln der Universitäten sind streng, die Professoren alt. Wer lässt sich schon gern sagen, dass er dem Alten anhängt?»
    «Die neue Zeit ist also auch in der Medizin angebrochen?», fragte Priska. «Warum merkt man nichts davon?»
    «Wie überall wird auch in der Wissenschaft das Neue zunächst bekämpft.»
    Priska strahlte zuversichtlich Adam an. «Du aber, Adam, wirst dafür sorgen, dass die neue Zeit auch in der Medizin anbricht, nicht wahr? Du wirst neue Arzneien finden, die für alle Menschen, auch die in den Vorstädten, bezahlbar sind.»
    «Du erwartest zu viel von mir, Priska. Aber eines kann ich dir versichern: Ich werde mein Bestes geben, um ein wirksames Medikament gegen die Franzosenkrankheit zu finden. Und ich werde niemals aufhören, von den Kräuterweibern, den jüdischen und arabischen Ärzten, von den Bauern und den Hebammen, von den Badern, Chirurgen, Steinschneidern und Apothekern zu lernen», versprach ihr Adam mit ganzem Herzen. Priska hörte jedoch nur halb hin. Eva war ihr wieder in den Sinn gekommen. Soll ich es ihm jetzt sagen?, fragte sie sich. Soll ich ihm von Evas Krankheit erzählen? Sie beobachtete ihn, wie er gewissenhaft seine Tasche prüfte und noch einmal alle Notizen, die er sich zu den Kranken gemacht hatte, durchlas. Nein, dachte sie. Ich darf es ihm nicht sagen. Er braucht Ruhe für seine Arbeit. Und wer weiß? Vielleicht tut die Wallfahrt ihres dazu, dass Eva wieder ganz gesund wird. Schon oft habe ich von Leuten gehört, die mit schwerer Krankheit gepilgert sind und gesund zurückkamen.
     
    Am nächsten Morgen ging sie gleich nach Sonnenaufgang hinaus in die Vorstadt, um die Dinge zu besorgen, die sie für die Arznei des schwindsüchtigen Bademädchenkindes brauchte. Am Stadttor herrschte, wie immer um diese Zeit, reges Gedränge. Die Bauern aus der Umgebung brachten ihre Waren auf den Markt, Boten drängten mit ihren Pferden, Bettler begehrten Einlass, und ein Buchdrucker samtGehilfe rollte zwei mit Pech verschmierte Fässer mühsam durch das Tor. Alles drängte hinein in die Stadt, nur Priska wollte in die Gegenrichtung. Nachdem sie die Menge hinter sich gelassen hatte, lief sie den lehmigen Weg bis zu den kleinen Katen, die sich rechts und links einer mit breiten Fahrrinnen versehenen Gasse drängten. Obwohl es noch sehr früh am Morgen war, war die Gasse belebt. Eine Frau hängte verblichene Wäschestücke auf eine Leine, zwei Wäscherinnen eilten zum Stadttor, ein altes Weib sammelte dürre Holzstücke auf, und ein junger Mann trug

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