Die Wunderheilerin
welches ihr die Kräuterfrau vererbt hatte, kam Priska dabei zugute. Natürlich waren Priskas Arzneien nur für die ärmeren Leute, die kein Geld dafür hatten. Die anderen ließen sich ein Rezept ausstellen und gingen damit zu einem der Apotheker in der Stadt, der ihnen die gewünschte Mixtur herstellte. Um Arzneien anzufertigen,brauchte man eine Zulassung, die Priska natürlich nicht hatte. Sie hatte keine Universität besucht, verstand nichts von der Lehre, die die Professoren denen angedeihen ließen, die später einmal eine Apotheke führen sollten. Deshalb tat sie nur das, was die Gehilfin eines Stadtarztes tun durfte. Und vielleicht ein winziges bisschen mehr.
«Wirst du heute viel zu tun haben?»
Adam schüttelte den Kopf. «Ich werde im Frauenhaus nach dem Rechten sehen müssen und dem St. Georgenspital einen Besuch abstatten. Dann muss ich ins Verlies und nach den Gefangenen schauen, und am Nachmittag warten die Bürger, die sich einen älteren Arzt nicht leisten können, auf meinen Besuch.»
«Und Ursula? Gehst du auch zu ihr?»
Ursula war die Nachbarin des Henkers. Sie hatte schon seit Wochen Leibschmerzen und wurde von Tag zu Tag schwächer. «Du musst nach ihr sehen, Adam, du bist der einzige Stadtarzt, der in die Vorstadt geht.»
Adam lächelte. «Ich gehe zuerst zu Ursula. Am Morgen ist es für sie weniger schmerzhaft, wenn ich ihr den Leibwickel umlege.»
«Adam?», fragte Priska leise.
«Ja, mein Herz?»
«Ursula hat die Franzosenkrankheit, nicht wahr?»
Adam nickte.
«Und es gibt kein Heilmittel dafür? Sie wird bald sterben müssen?»
Er nickte, wandte sich ab, packte seine Ledertasche mit den wichtigsten Instrumenten – Zangen, Sägen, Saugglocken, Scheren und Haken – und machte sich auf den Weg.
Priska sah ihm stumm dabei zu. Ich muss es ihm sagen,dachte sie. Ich muss ihm sagen, dass auch Eva an der Krankheit leidet. Er ist der Einzige, der ihr vielleicht helfen kann.
Doch irgendetwas hielt sie zurück. Sie seufzte, als er aus dem Haus ging, und sah ihm aus dem Fenster der Wohnstube hinterher. Hoch aufgerichtet ging er, den Blick geradeaus. Ein Bürgermädchen ging vorbei, das lange Haar wehte wie ein Schleier hinter ihr her. Ein junger Mann, vielleicht ein Studiosus, sah ihr mit offenem Mund nach, aber Adam würdigte sie keines Blickes. Seine Schultern waren nicht so breit wie die der Bauern, aber gerade und stark. Das braune Haar, das bis auf den Nacken reichte, verschmolz mit dem Samt seines Barretts. Die langen Beine schritten weit aus, und die Arzttasche schlenkerte an seinem Arm.
Er ist ein schöner Mann, dachte Priska. Ein schöner Mann mit einer schönen Seele. Ist das nicht mehr als genug?
Sie seufzte noch einmal, dann ging sie hinunter in den Raum neben der Küche, der einer Apotheke glich. Ein Harnglas stand da, ein kleiner Brennkolben, Beutel mit Kräutern, ein Mörser mit Stößel, Fett für Salben, Tübchen, Fläschchen, Behältnisse mit Pulvern, Krüge und eine Waage.
Priska rückte dort eine Schale zurecht, zupfte da ein Kräutlein, schüttelte einen Kolben mit einer klaren Flüssigkeit. Dann nahm sie ein paar getrocknete Blätter aus einem kleinen Leinenbeutel, gab sie in den Mörser und zerstieß sie. Als die Blätter zu Pulver geworden waren, gab sie heißes Wasser hinzu, vermengte die Masse, maß ein Viertel Schweineschmalz ab und verrührte es mit dem Blätterbrei. Dann füllte sie den Brei in ein Döschen aus Ton und verschloss es mit einem sauberen Tuch. Sie nahm ein Stück Pergamentund tunkte die Schreibfeder in das Tintenfass. «Beinwellsalbe», schrieb sie darauf, streute Löschsand darüber und brachte das Papierstück auf dem Döschen an.
Als sie die Glocken zu Mittag schlagen hörte, ging sie hinauf, um mit der Magd zu essen, danach kehrte sie zurück in das Laboratorium und nahm sich eines der Bücher, welches noch aus dem Besitz von Adams Vater, dem Frankfurter Arzt Isaak Kopper, stammte. Es waren Aufzeichnungen eines römischen Arztes mit Namen Claudius Galenus, der die Säftelehre begründet hatte. Weit über 1000 Jahre war er schon tot, doch seine Lehre wurde noch immer an allen Universitäten verbreitet. Auch von einem arabischen Arzt Avicenna gab es ein Buch, in dem Priska immer wieder gern blätterte.
Priska setzte sich auf einen Schemel, legte das Buch vor sich auf den Tisch und vertiefte sich in die Aufzeichnungen.
Sie las, dass den vier Elementen Feuer, Erde, Wasser und Luft die vier Säfte zugeordnet wurden. Das Feuer
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