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Die Wunderheilerin

Die Wunderheilerin

Titel: Die Wunderheilerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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in den Sinn. Der Ring ließ sich inzwischen gut tragen, das hatte sie selbst ausprobiert. Doch die anderen offenen Fragen konnte sie nicht beantworten, weil es niemand gab, der sie beschlief. Sie konnte nicht herausfinden, ob der Ring tatsächlich Schwangerschaften verhinderte, sie konnte nicht fühlen, ob er Schmerzen bereitete, wenn ein Mann in sie eindrang. All das war ihr verwehrt. All das hatte Regina im Überfluss. Vielleicht hätte sie das Ansinnen der Schwester nicht so schnell ablehnen dürfen. Die Schwester hätte für sie den Bienenwachsring testen können. So könnte sie zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Priska ging ins Laboratorium hinunter, nahm ein wenig Bienenwachs in die Hände, knetete es, bis es weich genug war, jede beliebige Form anzunehmen, und drückte es vorsichtig um einen Draht, den sie selbst gezogen hatte.
    Als ihr Blick auf Adams Zeichnungen der weiblichen Scham fiel, kam auf einmal wilde Lust über sie. Lust, mit der sie nicht wusste, wohin, von der sie nicht wusste, woher. Sie war einfach da. Die Wollust, die die schlechte Liebe machte.
    Priska stöhnte leise auf. Sie hob die Hände, legte sie auf ihr schnell schlagendes Herz. Ihre Brüste reagierten auf die Berührung. Priska ließ sich auf den Schemel sinken und schloss die Augen. Der Zimmermannsgeselle tauchte vor ihr auf. Sie sah sein rotes Haar, roch den Duft nach Holz und Leim, der in seinen Kleidern hockte. Jetzt bog sie den Kopf nach hinten, als ließe er seine Finger durch ihr Haar rinnen. Sie hob ihm ihr Gesicht entgegen, sein Mund kam näher   … und plötzlich zuckte Priska zusammen, fand sich auf dem Schemel im Laboratorium wieder, beide Hände auf die Brüste gepresst, das Bienenwachs auf dem Steinboden vergessen.
    Sie schüttelte sich, ärgerlich mit sich selbst, hob die Bienenwachskugel auf und stand auf. Dann löschte sie das Licht der Öllampe, verschloss das Laboratorium, holte ihren Umhang und machte sich auf den Weg zu Regina.
     
    «Da!» Priska hielt Regina den Ring hin. «Das ist alles, was ich dir geben kann.»
    Regina sah auf den goldgelben Klumpen. «Was ist das?»
    «Bienenwachs», erwiderte Priska und drängte sich an der Schwester vorbei durch die Tür. Sie sah sich in der kleinen Wohnung um, doch Regina war allein mit dem Kind, sie musste kein Blatt vor den Mund nehmen: «Ich weiß nicht, ob diese Art Mutterring eine Schwangerschaft verhütet. Woher auch? Er trägt sich gut. Aber wie er sich anfühlt, wenn der Mann den Schoß erstürmt, das weiß ich nicht. Das, Regina, musst du mir sagen.»
    Die Schwester nickte langsam. «Wir haben also einen Handel, nicht wahr?», fragte sie. «Du gibst mir das Bienenwachs, das vielleicht hilft, vielleicht aber auch nicht. Dafürwillst du von mir wissen, wie sich die Liebe anfühlt. Ist es das?»
    Priska spürte, wie sie errötete, und schwieg. Ja, sie wollte endlich wissen, wie die Liebe war. Die richtige Liebe. Sie wollte wissen, ob man den Samen spüren konnte. Sie wollte das Kribbeln und Prickeln, wollte, dass jemand ihren Schoß zum Glühen brachte. Doch das konnte sie Regina ja wohl kaum sagen. «Du hast mich gebeten, dir zu helfen, obwohl du weißt, dass ich mich damit strafbar mache. Ich bin gekommen. Dafür schuldest du mir etwas.»
    «Gut», sagte Regina langsam, und Priska erinnerte sich daran, dass sie dieses Wort schon einmal in diesem Tonfall ausgesprochen hatte. «Gut, ich werde tun, was du von mir willst. Wir haben einen Handel. Jeder hält sich daran, seinen Teil zu erfüllen. Jetzt aber geh, ich muss dem Zimmermann Bescheid geben.»
     
    Kurze Zeit später fand die Leichenöffnung statt. Der Vorlesungsraum, der sich in den Gemäuern des Augustiner-Chorherrenstiftes befand, war bis auf den letzten Platz besetzt. Als Priska ihren Blick über die Zuhörerreihen schweifen ließ, konnte sie einen Ausruf des Erstaunens nicht unterdrücken. Neben den Studenten in ihren schwarzen Umhängen saßen Männer, die ganz gewiss zum ersten Mal in ihrem Leben eine Universität von innen sahen. Einige davon kannte sie; da war der Bader aus der Badestube in der Hainstraße, die jetzt, in den Zeiten der Franzosenkrankheit, allerdings nur noch schlecht besucht war. Neben ihm saß ein Zahnreißer. Sie hatte seinen Stand auf dem Markt gesehen, hatte auch schon die Zangen im Mund eines wandernden Gesellen gesehen, dem der Zahnreißer einen entzündetenBackenzahn gezogen hatte. Der Geselle hatte geschrien, als stecke er am Spieß, aus seinem Mund war Blut geschossen,

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