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Die Wunderheilerin

Die Wunderheilerin

Titel: Die Wunderheilerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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richtig. Deine Versuche sind richtig, deine Zweifel, deine Ängste, deine Rückschläge. All das ist gut und richtig. All das muss so sein. Es geht nicht um die Größe der Schritte, sondern darum, dass man sie geht. Verstehst du, Adam?»
    Sie sah ihn eindringlich an. «Nein, du verstehst es nicht, ich sehe es dir an.»
    Sie ließ seine Hand los und schüttelte den Kopf. «Es geht nicht um deine persönliche Schuld, nicht um dich und mich, nicht um Eva und Ursula. Es geht darum, etwas zu tun. Etwas Neues zu wagen. Das, Adam, ist die neue Zeit. Nicht die Suche nach dem eigenen Platz. Wer immer das gesagt hat, er hat sich geirrt.»
    Das kleine Feuer der Leidenschaft hatte ihre Wangen rot gefärbt und Glanz in die Augen gebracht. Auf einmal wusste sie, was sie in ihrem Leben machen wollte, wohin der nächste Schritt sie führen würde.
    «Adam, eine Leiche reicht nicht aus. Wir brauchen viele davon.»
    «Bitte? Was redest du da von Leichen, Priska?» Adam war vollkommen verwirrt.
    Priska strich sich eine Haarsträhne zurück, lachte ein bisschen, weil sie so froh war über die Gewissheit in ihr.
    «Ich rede von der Leichenöffnung. Nicht nur eine Leiche musst du untersuchen, sondern viele. Frauen, Männer, Kinder. Junge und Alte. Dicke und Dünne. Arme und Reiche.»
    «Aber Priska, das geht nicht. Froh bin ich, dass der Dekan mir eine Leichenöffnung gestattet. Wozu so viele?»
    «Du musst vergleichen, Adam. Verstehst du? Du musst das Innere der Toten miteinander vergleichen. Warum wirkt bei Ursula das Quecksilber, warum bei anderen nicht? Warum werden die Hübschlerinnen so oft schwanger, warum warten andere Frauen vergebens auf ein Kind? Diese Fragen kannst du nur beantworten, wenn du in das Innere der Menschen siehst.»
    Adam seufzte, nahm ihre Hand und strich zart darüber. «Ich weiß, Priska. Doch das wird gar nicht so einfach sein. Doch ich bin froh über deine Unterstützung.»
     
    Wenige Tage später löste Priska ihr Versprechen ein und besuchte Regina. Die Schwester war allein, der Feuerknecht mit seinen Gesellenbrüdern in der Schänke.
    Regina sah schlecht aus. Es war nicht Haut oder Haar, sondern der Ausdruck ihrer Augen. Trüb waren sie, ohne Glanz.
    «Ich bin gekommen, weil du mich darum gebeten hast», sagte Priska und legte mehrere Päckchen vor Regina auf den Tisch.
    «Was ist darin?»
    «Salben und Schönheitsmittel für dich, ein Schinken und ein paar Sachen für deinen Sohn. Eva gab sie mir.»
    Regina schob die Pakete achtlos zur Seite. «Danke.»
    Das Wort kam widerwillig.
    «Du brauchst dich nicht zu bedanken.» Priska sagte es freundlich und mit Wärme, sodass Regina aufsah und auch ein leises Lächeln wagte.
    «Verurteilst du mich?», fragte sie dann.
    Priska schüttelte den Kopf. «Nein. Das steht mir nicht zu.»
    «Du bist mein Zwilling.»
    «Trotzdem. Ich glaube nicht mehr daran, dass wir beide uns eine Seele teilen. Du hast ein Kind, ich habe keins.»
    «Ja. Aber es ist nicht von Dietmar, dem Feuerknecht. Eine Hure bin ich. So, wie die Meisterin Eva es mir prophezeit hat, so, als wäre ich nie aus der Vorstadt herausgekommen.»
    Priska zuckte mit den Schultern.
    «Bin ich dir so gleichgültig?», fragte Regina. «So sehr, dass du mich nicht einmal verurteilst?»
    «Du bist mir nicht gleichgültig. Aber ich verurteile dich nicht.» Sie sah zu dem Säugling, der in einem Weidenkorb schlief, und strich zart über den roten Haarflaum. «Weiß es der Feuerknecht?», fragte sie.
    Regina schüttelte den Kopf. «Er sieht nur, was er sehen will. Er ist so viel älter, und dies ist sein Sohn. So soll es sein, so sieht er es. Der Junge könnte Hörner auf dem Kopf tragen.»
    «Dann ist doch alles gut, oder?»
    Regina schüttelte den Kopf. «Ich möchte keine weiteren Kinder mehr.»
    «Dann sprich mit dem Feuerknecht.»
    «Das ist es nicht; mein Mann lässt mich in Ruhe. Er arbeitet schwer, hat nun seinen Sohn, alt ist er außerdem. Das, was er jetzt hat, reicht ihm.»
    Regina fasste nach Priskas Hand. «Aber mir ist es nicht genug.»
    «Warum nicht? Du hast mehr als deine Schwestern und Brüder, die noch immer vor den Stadttoren hausen. Was, Regina, willst du eigentlich?»
    Regina blickte Priska trotzig an.
    «Du glaubst, ich brauche Mandelmilch und Kutsche, um zufrieden zu sein, nicht wahr?»
    «Du selbst hast es so gesagt.»
    Regina winkte ab. «Man sagt nicht immer, was man meint.» Der Trotz war immer noch in ihrer Stimme. «Aber ich habe auch nicht gelogen. Reichtum bedeutet mir etwas, Ansehen

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