Die Wunderheilerin
der Toten. Und diese Tote da, ein armes Weib aus der Vorstadt mit Namen Ursula, sagte zu mir in ihrer letzten Stunde: «Findet heraus, wasmich gequält hat. Sucht den Grund für meinen Tod. Nehmt meinen Körper, wenn ich gestorben bin. Öffnet ihn und sucht. Meiner Seele tut es keinen Abbruch. Im Gegenteil: Wie könnte Gott jemanden zürnen, der die Leiden der Menschen verringern will?»
Der Student fuchtelte erneut mit den Armen: «Und wie, frage ich Euch, soll diese Frau am Tage des Jüngsten Gerichts wieder auferstehen? Soll sie mit offenem Leib, den jeder begaffen kann, durch das Himmelreich wandeln?»
Adam zögerte. Sein Blick fiel auf die Herren in den Kutten des Augustiner-Chorherrenstiftes. Lauernd saßen sie da und blickten ihn an. Er durfte jetzt nichts Falsches sagen. Er setzte an zu sprechen, doch im selben Augenblick stand der älteste Stadtarzt auf, hob die Hand und gebot Ruhe. Dann sagte er: «Meine Herren, wir befinden uns hier in einer Universität. Und an diesem Ort dient seit alters her der Tod dem Leben. Wir sind Mediziner. Der Gegenstand unserer Wissenschaft ist der menschliche Körper. Das Jüngste Gericht aber ist Sache der Theologen.»
Dann wandte er sich mit einem Lächeln an Adam. «Es wäre nun an der Zeit, die Vorlesung zu beginnen.»
Adam erwiderte sein Lächeln, zog mit einem Ruck das Tuch vom Leichnam der alten Ursula und machte Priska ein Zeichen.
Als sie neben die Leiche trat, gab es erneut Proteste im Saal. «Eine Frau», rief einer. «Was will eine Frau an einer Universität? Das Weib ist ein minderwertiges Wesen, das von Gott nicht nach seinem Ebenbilde geschaffen wurde. Es entspricht der natürlichen Ordnung, dass die Frauen den Männern dienen. So sagte es schon der Kirchenvater Augustinus. Was also will das Weib hier?»
Mit einem Zustimmung heischenden Blick wandte sich der Student an die Professoren. Adam ließ sich davon nicht beeindrucken.
«Ihr, Studiosus, habt Euch die Frage schon selbst beantwortet: Eine Frau hat dem Manne zu dienen. Die Wissenschaft ist Sache der Männer. Dies ist meine Frau, und deshalb wird sie mir dienen, indem sie bei der Leichenöffnung hilft.»
Ein anderer Studiosus war von seinem Sitz gesprungen. «Es ist gut und richtig, eine Frau dabeizuhaben. Jeder von uns weiß, dass es Unglück bringt, einen Toten zu berühren. Soll sich das Weib die Hände schmutzig machen.»
Adam sah kurz zu Priska. Und diese senkte den Kopf, ließ die Worte an sich abprallen. Adam nickte Priska zu, sie trat einen Schritt zur Seite und ließ den Prosektor, den Leichenöffner, heran. Wohl war ihr nicht in ihrer Haut. Natürlich wusste sie, wie wichtig die Leichenöffnungen für die Wissenschaft waren, sie hatte ja selbst dafür plädiert, dennoch beschlich sie ein merkwürdiges Gefühl. So, als täte sie etwas Verbotenes. In Gedanken bat sie Ursula um Verzeihung.
Der Prosektor setzte das Messer an und schnitt beinahe geräuschlos durch das welke, tote Fleisch. Er klappte die Hautlappen auseinander – und Priska musste einen kleinen Schrei unterdrücken.
Sie schüttelte den Kopf vor Verwunderung. Auf Abbildungen hatte sie schon gesehen, wie der Mensch im Inneren beschaffen war, aber das hier war etwas ganz anderes. Der Geruch stieg ihr süß und schwer in die Nase, aber sie achtete nicht darauf. Neugierig trat sie näher an den Tisch. Der Prosektor ließ das Messer in eine Schale fallen, wischtesich die Hände an einem Tuch ab und überließ Priska seinen Platz.
Jetzt war sie dran. Sie hatte einen Zeichenstock in der Hand, ihre Aufgabe war es, auf jedes Organ, das Adam beschrieb, zu zeigen.
Wie gebannt sah sie auf das Innere – und hatte plötzlich für den Begriff der göttlichen Ordnung ein Bild. Ja, das Innere der alten, kranken Ursula offenbarte Priska das Geheimnis der Schöpfung. Ordentlich lagen die Organe in dem toten Körper, als hätte eine reinliche Haushälterin darin gewirkt.
Im Saal herrschte Stille. Die Hörer in den hinteren Reihen hatten sich von den Plätzen erhoben, um besser sehen zu können.
Langsam und deutlich erklärte Adam jedes einzelne Organ.
«Das ist der Darm», sagte er, und Priska zeigte mit dem Stock darauf. «Dort befindet sich der Magen, da schlug einst das Herz.»
Sie war ergriffen. Angerührt auf eine ganz besondere Art und Weise. Mechanisch hob sie die Hand und zeigte auf die Dinge, die Adam benannte. Doch ihr Blick blieb an einer anderen Stelle haften. Dort, wo die weiblichen Geschlechtsorgane lagen.
Dreizehntes
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