Die Wunderheilerin
Schleußig.
«Johann kommt jeden Tag. Er hilft mir sehr. Bei ihm lerne ich, ruhig zu sein.»
Sie beugte sich zu Priska hinab und flüsterte: «Priska, ich liebe einen Priester. Ist das nicht schrecklich? Zuerst einen Mörder, nun einen Priester, der Keuschheit geschworen hat.»
Priska musste lachen. «Nein, Eva, schrecklich ist das gewiss nicht. Nur ungewöhnlich. Wir können uns nicht aussuchen, wen wir lieben. Wir suchen die Liebe nicht. Das geht gar nicht. Sie findet uns.»
Jetzt lächelte auch Eva wieder. Dann seufzte sie und senkte den Kopf, sodass Priska ihren Nacken sehen konnte. Sie erschrak – das Halsband der Venus, die Male der Franzosenkrankheit, waren deutlich zu erkennen. Am Abend sprach Priska mit Adam darüber. «Eva geht es schlecht. Ihr Körper muss schon von den kleinen Geschwüren und Papeln bedeckt gewesen sein, die beim Abheilen besonders im Nacken weiße Flecken hinterlassen. Das Halsband der Venus – Eva trägt es.»
Adam nickte. «Ich weiß, ich habe die Flecken selbst gesehen. Es sind jedoch nur wenige, und sie haben unterschiedliche Größen. Es muss nicht das Halsband der Venus sein, Priska. Ich habe schon Menschen gesehen, die hatten tellergroße weiße Flecken am ganzen Körper, aber die Franzosenkrankheit hatten sie nicht.»
«Hast du ihr von dem Quecksilber gegeben?», fragte Priska und sah ihn an. Adam wich ihrem Blick aus, nahm einen Buchenscheit aus dem Weidenkorb, der neben dem Kamin stand, und warf ihn ins Feuer.
«Hast du Eva von dem Quecksilber gegeben?», wiederholte Priska ihre Frage.
«Nein», erwiderte er schließlich. «Seit sie von der Wallfahrt zurückgekommen ist, nicht mehr. Ich habe ihr zu Guajak geraten.»
«Du? Du hast was? Du hast ihr Guajak verordnet?»
Adam nickte.
«Warum?»
Adam zögerte. «Das Quecksilber», begann er stockend. «Es bringt Eva kein Heil. Die Krankheitszeichen, die sie im Augenblick aufweist, kommen nicht von der Franzosenkrankheit.»
«Wieso? Wie kann das sein?», fragte Priska.
«Ich glaube, dass Eva an etwas anderem leidet. Vieles an ihrem Krankheitsbild stimmt nicht mit dem üblichen Verlauf überein.»
Priska konnte es kaum glauben. «Du … du meinst, Eva hat gar nicht die Franzosenkrankheit?»
Adam starrte weiter ins Feuer. «Nein», sagte er schließlich mit fester Stimme. «Ich bin der Meinung, dass sie sich nicht bei David angesteckt hat. Doch sie glaubt es, verstehst du, Priska? Und sie weiß, wie die Krankheit verläuft, hat es bei Susanne und David sehen können. Deshalb überziehen die Pusteln ihren Körper, deshalb klagt sie über Hitze und Kälte. Zuerst sind es ihre Gedanken, dann kommen die Anzeichen. Gäbe es die Gedanken nicht, hätte sie überhaupt keine Symptome.»
Adam setzte sich in den Sessel, der neben dem von Priska stand. «Die Anzeichen der Krankheit, die Eva heute zeigt, hätten schon vor vielen Monaten auftreten müssen. So ist es bei den anderen jedenfalls gewesen. Manche Symptome, von denen sie nichts wusste, Ausschläge zwischen den Beinen zum Beispiel oder schmerzende Knoten unter denAchseln, hat sie gar nicht. Ich habe sie sehr vorsichtig danach gefragt.»
«Warum sagst du ihr dann nicht, dass sie gesund ist?», fragte Priska verwundert.
Adam fuhr hoch, schlug mit der flachen Hand auf die hölzerne Lehne. «Verdammt, Priska, weil ich es nicht ganz genau weiß. Ich bin mir nicht völlig sicher, verstehst du? Ich weiß so wenig über diese Krankheit, über Krankheiten überhaupt. Die ganze Medizin ist ein großes Rätsel, der menschliche Körper ein undurchdringliches Geheimnis. Ach …»
Er sank zurück und starrte ins Feuer. Sein Blick, gerade noch lodernd, war nun leer.
Priska schwieg. Sie war erschrocken. Er ist Arzt, dachte sie. Er ist ein Mann, er hat studiert. Und ich? Nichts bin ich, nichts weiß ich. Ich bin eine Frau, habe niemals eine Universität betreten und maße mir doch an, den Hübschlerinnen etwas beibringen zu können. Das ist so lächerlich. Und doch gibt es keinen anderen Weg. So albern, so gering und lächerlich meine Bemühungen auch sind, sie sind ein kleiner Schritt.
Priska nickte, ohne dass sie es merkte, mit dem Kopf.
«Was ist?», fragte Adam. «Woran denkst du?»
Priska ergriff seine Hand. «Du darfst nicht verzagen, Adam», sagte sie und spürte plötzlich ein kleines, noch schwaches Feuer in sich brennen, das nicht aus dem Schoße kam. Hätte sie gewusst, was Leidenschaft ist, hätte sie das Gefühl benennen können. «Alles, was du machst, ist
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