Die Wunderheilerin
Ratschläge erteilte, dort mit Salben und da mit Erklärungen half, arbeitete Adam noch verbissener. In aller Herrgottsfrühe verließ er das Haus, ging in die Vorstadt, in die Spitäler, ins Verlies und zu den Bürgern. Dreimal in der Woche stand er in der Universität auf dem Podium und hielt seine Vorlesungen ab.
Es hatte einen kleinen Aufschrei gegeben, als Adam damit begonnen hatte, sowohl in lateinischer Sprache für die Studiosi als auch in deutscher Sprache für die Barbiere, Starstecher und die anderen, die sich am Menschen zu schaffen machten, zu referieren. Doch als die Stadträte bemerkten, dass es weniger Streitigkeiten zu schlichten gab, seitdem die Bruchschneider und Feldscherer ihre Arbeit nach Adams Anweisungen machten, waren sie es zufrieden und machten ihm keine weiteren Schwierigkeiten.
Wenn er abends nach Hause kam, so begab er sich sogleich in sein Laboratorium. Noch immer hatte er die Arznei, die zweifelsfrei und zuverlässig gegen die Franzosenkrankheit half, nicht gefunden. Doch seine Patienten lebten immer länger – und vor allem sparsamer, da er ihnen kein Guajak verschrieb. Das brachte ihm zwar den Zorn einiger Kaufleute ein, doch darum kümmerte Adam sich nicht.
Er kümmerte sich überhaupt nur noch um sehr wenige Dinge, die nichts mit seinem Beruf zu tun hatten. Schweigsam war er geworden. Wenn er abends nicht arbeitete, so saß er im Schein des Kaminfeuers in der Wohnstube und starrte in die Flammen. Stundenlang konnte er so sitzen, ohne ein Wort zu sagen.
«Sprich mit mir», hatte Priska ihn am Anfang gebeten. «Sage mir, was dich bedrückt.»
«Es ist nichts», hatte er geantwortet. «Du kannst mir nicht helfen.»
Und Priska hatte sich damit abgefunden, dass ihr Mann zur Melancholie neigte. Nur wenn Nora bei ihm war, lächelte Adam ab und zu. Das Kind kümmerte sich nicht um seine Traurigkeit, kletterte unbefangen auf seinen Schoß, zupfte ihn am Bart. Und er nahm es in den Arm, zeigte ihm die Welt und lachte dabei, streichelte die Kleine, als ob sie seine wäre.
«Ich liebe Nora», hatte er einmal zu Priska gesagt. «Und ich bin dankbar, ein Kind haben zu dürfen.»
«Niemand weiß, dass du nicht der Vater bist», hatte Priska gesagt und mit Erschrecken erkannt, dass Adam diese Tatsache längst verdrängt hatte.
Manchmal nahm sie Nora mit zu Eva. Dort konnte sie mit Aurel spielen, obwohl er mit schon 14 Jahren fast zu alt dafür war. Bald, in zwei Jahren schon, sollte er auf die Universität gehen und Arzt werden wie sein Großvater und sein Onkel.
Eva liebte ihren Sohn über alles. Doch nicht nur Aurel bereitete ihr Freude, auch Johann von Schleußig war ihr immer wichtiger geworden. Er kam sie jeden Tag besuchen. Manch einer in der Stadt behauptete, er bliebe über Nacht. Am Morgen hätte man ihn beim ersten Licht aus Evas Tür kommen sehen, doch darüber sprach Eva nicht. Ihr Gesicht, ihre Haltung, ihre stets heitere Laune aber zeigten, dass sie glücklich war. Die Franzosenkrankheit, oder welche Krankheit auch immer es gewesen war, hatte sie überwunden, sie war gesund und munter.
Nur in den Zusammenkünften der Fraternität, zu denen nun auch Priska ging, konnte Eva in Erregung geraten, das hatte sie inzwischen mehrmals erlebt. Früher war Priska nie zu den Zusammenkünften des Geheimbundes mitgegangen. Adam hatte sie nie gefragt, und sie hatte auch nie gewollt. Was sollte sie dort? Sie war eine Henkerstochter. Sie hatte das Wissen der anderen nicht, konnte nicht reden wie Eva, wusste nichts von der Welt wie die Lechnerin, kannte sich in der Theologie und Philosophie nicht aus wie Adam und die anderen.
Doch dann, als Aron weg war und ihre Arbeit ihr zeigte, wie ungleich die Menschen nicht vor Gott, wohl aber vor den Vertretern Gottes auf Erden waren, da hatte sie angefangen, sich für das zu interessieren, worüber sie bereits so vieles gehört hatte: für die Unruhen im Land und ihre Gründe.
Bei den Zusammenkünften erfuhr sie mehr: Von Mönchen und Nonnen wurde berichtet, die Keuschheit gelobt, aber der Sünde verfallen waren. Im Süddeutschen sollte es gar ein Nonnenkloster geben, das durch einen geheimen Gang mit einem Mönchskloster verbunden war. Die Leibesfrüchte der Nonnen würden im klostereigenen Findelhaus großgezogen.
Und vom Pfründewesen hörte sie, von der unerschöpflichen Gier der Kardinäle und Bischöfe, die das Land unter sich aufteilten und den Bauern so hohe Steuerlasten auferlegten, dass diese darunter beinahe zusammenbrachen und
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