Die Wunderheilerin
gemeiner Dieb, Priester, Ihr bringt die Kirche um das, was ihr gehört. Bestraft sollt Ihr werden; beide Hände sollen Euch abgehackt werden.»
Johann von Schleußig aber lachte, holte seinen Ablassbrief hervor und teilte den Zuhörern und dem aufgebrachten Mönch mit, dass er nicht bestraft werden könne, da er für diese Sünde bereits einen Ablass gekauft habe.
Der Mönch wurde rot vor Wut und eilte unter dem Gelächter der versammelten Menge und sogar des Richters aus der Kirche. Das erbeutete Geld aber stellte Johann vonSchleußig dem Richter zur Verfügung, der es unter die Armen der Stadt verteilen ließ. Er war es auch, der den Leipziger Stadtrat schließlich davon überzeugte, gegen Tetzel Beschwerde zu führen.
Das war im Frühsommer des Jahres 1517 gewesen. Am 31. Oktober desselben Jahres erschütterte ein Ereignis das Deutsche Reich, von dessen Auswirkungen niemand etwas ahnte.
Dr. Martin Luther schlug seine 95 Thesen an die Schlosskirche zu Wittenberg. Bereits zwei Tage später brachten Boten die Kunde nach Leipzig.
Auf dem Marktplatz herrschte reges Gedränge. Viele Leipziger fanden sich ein, um mit Nachbarn und Bekannten das Ereignis zu besprechen. Noch kannte keiner den genauen Wortlaut, doch schon wenig später hatte der Leipziger Drucker Jakob Thanner Flugblätter davon gedruckt, die nun in der Stadt die Runde machten.
«… Deshalb irren jene Ablassprediger, die sagen, dass durch die Ablässe des Papstes der Mensch von jeder Strafe frei und los werde.
Der Papst erlässt den Seelen im Fegefeuer keine einzige Strafe, die sie nach den kirchlichen Satzungen in diesem Leben hätten abbüßen müssen.
Wenn überhaupt irgendwem irgendein Erlass aller Strafen gewährt werden kann, dann gewiss allein den Vollkommensten, das heißt aber, ganz wenigen. Deswegen wird zwangsläufig ein Großteil des Volkes durch jenes in Bausch und Bogen und großsprecherisch gegebene Versprechen des Straferlasses getäuscht …», war da zu lesen.
«Heißt das also, die Ablässe haben allein den Kirchen und Klöstern gedient?», fragten die Leute einander.
«Heißt das, dass sich der Papst, die Kardinäle, Bischöfe und Klostervorsteher die Taschen füllen?», schallte es über die Plätze.
Nicht alle schlossen sich dieser Meinung an. «Ein Ketzer ist er, dieser Dr. Martin Luther. Er zweifelt an der Redlichkeit der Mutter Kirche. Aufgeknüpft gehört er, dieser Mönch. Ein Nestbeschmutzer ist er, dieser Mann, der sich Doktor nennt.»
Von überall her brachten nun Boten die Nachricht von Unruhen und Erhebungen im ganzen Land. Auch in der Fraternität wurde heftig über den Doktor aus Wittenberg gestritten.
Die Lechnerin und ihr Mann sprachen sich gegen ihn aus. «Er ist ein Ketzer. Zwar hat jeder Mensch das Recht auf seinen Platz, doch dürfen dabei keine Zweifel am Glauben gesät werden. Wer die Stellung des Papstes angreift, ist ein Ketzer und bringt Unheil.»
Eva, die wenig sagte, aber immer sehr gut zuhörte, empörte sich: «Wie kannst du so etwas sagen, Ute? Ausgerechnet du! Du warst es doch, die mir damals geholfen hat, Priska und Regina aus der Vorstadt zu holen und an ihnen zu beweisen, dass jeder Mensch unabhängig von Stand und Gut Großes und Gutes zu leisten vermag. Du warst es auch, die sich damals gegen den vorherrschenden Glauben ausgesprochen hat, dass Gott den Menschen auf seinen Platz gestellt hat.»
«Das war etwas anderes. Hier geht es nicht mehr um den Einzelnen, hier geht es um den Glauben an sich. Wenn der Papst und die Bischöfe, Kardinäle und Priester angegriffen und verunglimpft werden, wie sollen die Gläubigen dann zu Gott sprechen können?»
«Das ist es ja gerade», sprach Eva laut und aufgeregt. «Wir brauchen keine Vermittler, wenn wir mit Gott reden wollen. Von Angesicht zu Angesicht sollen wir sprechen mit ihm. So sagt es Luther.»
Von diesem Tage an war die Freundschaft von Ute Lechner und Eva vorbei. Sie besuchten einander nicht mehr, und die Grüße beim Kirchgang waren kühl und knapp.
Zwei Jahre später kam es zur Leipziger Disputation zwischen Martin Luther und Dr. Johann Maier aus Eck, Vizekanzler der Universität in Ingolstadt.
Eck traf am 21. Juni in Leipzig ein und nahm Quartier beim Bürgermeister Benedikt Beringshain in seinem Haus in der Petersstraße. Der Zug der Wittenberger passierte am nächsten Tag die Stadttore und wurde vom Buchdrucker Melchior Lotter in der Hainstraße, unweit von Evas Haus, beherbergt. Martin Luther kam nicht
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