Die wundersame Geschichte der Faye Archer: Roman (German Edition)
und ein Schiff, das eigentlich ein Zug war, so einfach war das.
Die Passanten warfen ihr teils belustigte, teils entrüstete Blicke zu. Vermutlich saßen sonst keine jungen Frauen auf diesem Briefkasten und kritzelten hektisch und vor sich hin summend etwas auf einen Zettel.
Faye lächelte.
Sie blinzelte in die Sonne und dachte ein paar schöne Gedanken.
Dann verstaute sie Zettel und Bleistift, sprang behände von dem Briefkasten und setzte ihren Weg fort. Einige Passagen des gerade zu Papier gebrachten Textes flatterten ihr im Kopf herum und ließen sie ganz in dem Refrain versinken. Mit wippendem Schritt legte sie den Rest der Strecke zurück, es war so ähnlich wie Tanzen.
Keine zehn Minuten später erreichte sie das LL. Das LL war ihre Oase, der beste kleine Musikladen Brooklyns. Wenn sie einfach nur Inspiration suchte oder wenn sie das Leben ein wenig zu sehr herumwirbelte, dann kam sie hierher. Hier war alles, was man zum Glück brauchte.
Das große Backsteingebäude war einmal ein Hotel gewesen, vor langer Zeit, doch jetzt bröckelte die Fassade. Parterre waren zwei Läden untergebracht, ein Second-Hand-Geschäft, in dem man alles Mögliche fand, ausgenommen CDs und Vinyls, und der Musikladen, dessen Eingang die alte Drehtür des Hotels war.
Lunatic Lounge – 45 und 33 1 / 3 und alles andere auch, stand in einer 70er-Jahre-Schrift über dem Eingang. Neben der Drehtür hing ein Schild mit der von Hand geschriebenen Aufschrift In God we trust – everybody else has to pay cash .
Faye trat ohne zu zögern ein.
Drinnen roch es nach alten Schallplatten und Papier, das Licht war gedämpft. An den Wänden hingen Plakate von neuen Alben und Ankündigungen von Konzerten in der Nähe. Die Regale mit den Vinyls beherrschten den kleinen Raum; Faye liebte es, sie durchzublättern. Dazwischen standen Regale mit CDs. Leise lief »St. James Infirmary« im Hintergrund, ein Klangteppich in der Luft. Hier und da die großen Vinyl-Hüllen, Cover von solcher Pracht, wie sie die Welt seit dem Durchbruch der CD viel zu selten sah. Es war ein wenig, als tauche man in eine vergessene Welt ein. Faye musste an ihren Vater denken, an die Musik, die er gehört und für die er das kleine Mädchen, das sie damals gewesen war, begeistert hatte. An den Kofferplattenspieler, den er ihr geschenkt hatte und der sie all die Jahre über begleitet hatte.
»Hey, hey, hey, Holly Go Go«, riss sie der Inhaber, ein farbiger Riese, der lässig, einen Kaffee schlürfend, hinter der Theke der alten Rezeption lehnte, in einem älteren Rolling-Stone -Magazin blätterte und grinste, aus ihren Gedanken.
»T. C.«, begrüßte ihn Faye.
»Was führt dich her?« Er fragte das immer.
»Ich brauche irgendetwas Neues.«
»Schwester«, er breitete die Arme aus.
»Bruder«, erwiderte Faye.
Tiberius Cyrano Moses kam um die Theke herum auf sie zu und umarmte sie, wobei er sie mit Leichtigkeit hochhob. »Du hast dich in letzter Zeit rar gemacht. Wie läuft’s denn so? Schwester!« Er betonte das »Schwester« augenzwinkernd und laut, was ihn wie jemanden aus einem frühen Tarantino-Film wirken ließ, was T. C. natürlich wusste und genoss.
»Mir fehlen immer noch ein paar Lieder, aber …« Sie sah ihn geheimnisvoll an, verdrehte die Augen. »Ich bin zuversichtlich, dass sie mir zufliegen werden.«
»Wirklich?«
Sie nickte. »Ich fliege Loopings am Himmel und fange mir die Lieder ein.« So, wie sie das sagte, war es schon fast gesungen.
Er grinste breit. »Wurde ja auch Zeit«, meinte er und stellte sie wieder auf den Boden. T. C. Moses war ein Bmore-Club-Typ, ein leidenschaftlicher Anhänger von schnellem Hip-Hop und House Music, ein Jünger des 8/4 Beat, dessen Brüder mit 130 bpm beteten, zu den Heiligen der Szene, die Luther Campbell, Frank Ski und Miss Tony hießen. T. C. war zweiunddreißig, hatte eine Glatze, schimmernd wie eine schwarze Billardkugel, und dazu Ohrringe, die silbern im Halbdunkel des Ladens glänzten. Er trug eine Jacke der Red Socks – »Zur Hölle mit den Yankees« war so was wie sein Mantra – und eine rote Lesebrille, über deren Rand er Faye musterte, als sie ihm die frohe Neuigkeit verkündete.
»Cricket«, rief er nach hinten in den Laden, »rate mal, wen’s erwischt hat.« Er ging zu seinem Platz hinter der Theke zurück.
Faye rollte die Augen.
Hinten aus dem Kabuff – so gut wie jeder Laden in Brooklyn, den Faye mochte, schien über ein solches Kabuff zu verfügen – hörte sie Cricket Tylers Stimme. »Holly
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