Die wundersame Geschichte der Faye Archer: Roman (German Edition)
Go Go!« Cricket war T. C.s langjährige Freundin, Rastafari, Sportstudentin, jünger als Faye und Verehrerin von wildem Ska und klassischem Reggae. Faye hatte keine Ahnung, wie oder wann sie studierte, denn immer, wenn sie herkam, war Cricket Tyler im Laden und tüftelte hinten im Kabuff herum.
»Der Laden läuft nicht so gut«, hatte ihr T. C. bei einem der letzten Besuche erklärt, »wir haben sogar die Tüten mit dem LL-Logo abgeschafft.« Cricket, die vor der Sache mit dem Sportstudium eine Ausbildung zur Grafikerin abgebrochen hatte, produzierte dafür hinten im Kabuff peppige Ansteck-Buttons und beklebte Schaufenster und Textilien mit lustigen Motiven. »Die Leute denken immer, das hier ist wie in High Fidelity , aber, glaub mir, es ist härter.«
Oder, um es mit T. C.s Worten zu sagen: »Scheißdownloads.«
»Digital Natives«, pflegte Cricket hinzuzufügen, »haben einfach keinen Sinn für Ästhetik.«
Zu viele MP 3 s, zu viel Freeware, zu viele Songs in der Cloud. Dabei konnte Faye sich nicht vorstellen, wie sich Musik ohne Booklet anhörte.
»Wir geben uns aber nicht geschlagen«, pflegte T. C. mit seiner tiefen Stimme zu sagen.
Er wirkte wie ein Fels, und es tat gut, ihm Glauben zu schenken.
Trotzdem war die Wirklichkeit da. Alles änderte sich, und Läden wie das LL waren die letzten Bastionen guten Geschmacks.
»Ich habe deine CD zweimal verkauft in den letzten drei Monaten«, machte T. C. ihr Mut.
»Das ist eine Steigerung um zweihundert Prozent in einem Vierteljahr.«
»Schwester, dein Aufstieg hat gerade erst begonnen«, sagte T. C.
Beide lachten, weil sie ohnehin nichts daran ändern konnten. Es gab nicht so viele Läden, die Faye Archers Album verkauften. Nahm man es genau, gab es sogar keinen einzigen Laden außer dem LL, der Holly Go! verkaufte. Holly Go! war der schlichte Titel ihres Debüts. Produziert hatte es die Cushion Factory in Williamsburg, der Musikclub, in dem sie auch in Kürze wieder auftreten würde. Es war eine kleine CD für diejenigen, die sie abends im Club gehört hatten, auch an der Kasse der Cushion Factory erhältlich. Es gab hundert Exemplare, von denen die meisten ihr Leben noch in Kartons fristeten, stumm, ungespielt und ungehört.
»Wenn ich einmal berühmt bin, werde ich natürlich kostenlos Werbung für dich machen«, versprach sie.
»Du weißt, dass ich das nicht vergessen werde.«
»Ich bitte darum.«
Cricket kam aus dem Kabuff. Sie trug eine hellblaue Wollmütze, unter der sie die Haare versteckt hatte. Sie umarmten sich. »Ich suche Musik, die sich anfühlt wie Brooklyn im September.«
»Echt?« Cricket konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
»Ja.«
»Wer ist er?«
»Ein Künstler.«
T. C. schnalzte mit der Zunge. »Bestimmt bettelarm.«
»Weiß ich noch nicht.«
»Stinkreich?«
»Wohl eher nicht.«
»Vielleicht gehört ihm ein Label«, scherzte T. C.
»Träumer«, sagte Cricket, die zu den Alben hinübergegangen war. Sie blätterte flink die Hüllen durch, überflog die Titel. »Aber seinetwegen«, sagte sie zu Faye, »fühlst du dich wie Brooklyn im September.«
»So richtig.« Faye konnte das Lächeln nicht abstellen.
Cricket zog eine Hülle hervor, dann noch eine. »Ich weiß, was du brauchst.« Sie sah aus wie die hippe New-York-Ausgabe einer stolzen Massai. »Maceo Parker und Larry Graham könnten dir gefallen.«
»Zu funky.«
»Moon Duo.«
Sie schüttelte den Kopf. »Zu psychedelisch.«
»Ben Folds Five.«
Erneutes Kopfschütteln seitens Faye.
»Meine Güte, das ist Nerd-Musik.« T. C., der die ganze Zeit über nur zugehört hatte, schaltete sich jetzt ein. »Ben Folds Five, meine ich. Zumindest, und da lass ich mich auf keine Diskussion ein, die neuen Sachen.« Er ging rüber zu Cricket, zwängte sich an ihr vorbei in eine Ecke. »Es gibt nur ein einziges Album, das jetzt angemessen wäre.« Zielstrebig suchte er mit zwei Fingern, fand, wonach er gesucht hatte, und reichte ihr das Album. »Miles Davis. Kind of Blue. Das ist es, Schwester, vertrau mir.«
Cricket schwieg, ehe sie mit einem breiten Grinsen in der Stimme sagte: »Ja, vertrau ihm.«
Faye nahm die Platte in die Hand. Sie dachte an »September on my tongue«. An ein Saxofon, das sich gut machen würde zwischen den Strophen.
»Okay, die nehme ich.« Sie mochte schon das Cover, es war elegant und sehr schlicht.
Behutsam reichte sie es T. C., der damit zur Theke zurückkehrte. »Wann ist dein nächster Auftritt?«, erkundigte er sich.
»In zwei Wochen.«
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