Die wundersame Geschichte der Faye Archer: Roman (German Edition)
Chrom, sowie einen Toaster, der wie ein kleiner Kühlschrank im 50er-Jahre-Design daherkam, beide irgendwie verlinkt mit Alex Hobdons Namen. Richtig interessant war das aber nicht. Also suchte sie weiter. Ein Foto von ihm gab es anscheinend nicht. Dafür aber einen Hinweis auf eine Geschichte, die er gezeichnet hatte, einen Comic mit dem Titel Lügenlieder , 2010, also vor zwei Jahren, als Fortsetzungsstory in den Frühjahrsausgaben der Granta Weekly veröffentlicht und später in limitierter Auflage bei einem Kleinverlag erschienen. Faye schaute sich die Leseprobe an. Sie sah aus wie die Zeichnungen in dem Skizzenbuch, nur in Schwarz-Weiß und mit vielen Schatten, die der Geschichte eine traurige, düstere Note gaben. Faye überflog die Inhaltsangabe, die sie auf der seit einiger Zeit schon nicht mehr gepflegten Homepage des Verlages Little Gotham House fand. Die Geschichte war Crime Noir, irgendwie, so was wie die Pulp-Krimis, die ihr Vater so gern gelesen hatte, und handelte von einem blinden Schriftsteller, der sich in den 40ern in eine Telefonistin verliebte. Die Telefonistin spielte mit ihm und erzählte ihm Lügen, aber diese Lügen gaben ihm Mut, sein Schicksal zu meistern. Später wurde er in einen seltsamen Kriminalfall hineingezogen, den er nur lösen konnte, wenn er die Telefonistin fand. Das jedenfalls verriet der Klappentext, mehr nicht. Anscheinend interessierte sich niemand mehr für die Geschichte; die Ausgabe war vergriffen.
Faye seufzte.
In der öffentlichen Bibliothek würde sie vielleicht ein Exemplar finden, zumindest aber müssten sie dort die alten Ausgaben der Granta Weekly aufbewahrt haben. Also beschloss Faye, in den nächsten Tagen in der Bibliothek vorbeizuschauen und nachzufragen. Womöglich aber hatte Mica sie auch im Laden. Sie würde ihn danach fragen müssen.
»Alex hat diese Geschichte gar nicht erwähnt«, stellte Faye fest. »Wie merkwürdig.«
Sie scrollte weiter durch die dürftigen Suchergebnisse. Dennoch, ein paar Rezensionen gab es, sogar allesamt recht gut – die weniger guten schienen ausschließlich von missmutigen Rezensenten zu stammen, die weder die Geschichte selbst verstanden hatten, noch die schönen Zeichnungen mochten.
Sie fand den Weg zur Homepage der GraphiCon, überflog, nur mäßig interessiert, das Programm. Es gab viele Fotos von verkleideten Menschen: Orks, Elfen, Superhelden mit Brillen und Zahnspangen, nichts von Bedeutung.
Zwei Klicks weiter stolperte Faye dann über einige Artikel über Kurt Hobden und, darüber hinaus, jede Menge Artikel von Kurt Hobden und Interviews mit Kurt Hobden. Die Fotos zeigten einen Mann, dessen Blick keinen Zweifel daran ließ, dass er es gewohnt war, die Welt nach seiner Pfeife tanzen zu lassen. Die Berichte handelten ausnahmslos von der Dynamik auf den Finanzmärkten, neuen Derivaten, Einschätzungen bezüglich der Krise und der Notwendigkeit künftiger, noch einzurichtender Aufsichtsbehörden. Es gab eine Reihe von Fotos, die ihn mit seiner Frau Eleonor zeigten, einer Schönheit, aber ebenso arrogant wie ihr Mann. Galaabende, Filmpremieren, alles auf Hochglanz getrimmt. Alex schien da gar nicht hineinzupassen. Faye fragte sich, wie es wohl war, inmitten solcher Menschen aufzuwachsen.
»Nein«, sagte sie laut, und der Klang ihrer Stimme brachte sie wieder zur Vernunft, denn fast hätte sie schon wieder Mitleid mit Alex gehabt, aber, nein, so einfach ging das nicht.
Sie entsann sich der Szene auf der Straße, er mit dieser Frau an seiner Seite.
Warum hatte er sie so angesehen? So zornig . Womit in aller Welt hatte sie diesen Blick verdient?
Sie seufzte. Starrte den Bildschirm an. Eine lähmende Müdigkeit, die nach Rotwein schmeckte, überkam sie. Die Zeilen verschwammen vor ihren Augen. Vielleicht sollte sie tatsächlich einfach nur schlafen. Wäre das nicht eine gute Lösung? Schlafen und an gar nichts denken. Oder vielleicht vorher noch die andere Flasche öffnen? Der Gedanke war verlockend. Sie könnte sich treiben lassen. An Lieder denken, ein paar neue Melodien festhalten, Texte ersinnen.
Faye schaute zum Fenster hinaus und sah die Äste des Baums, wie sie sich im Wind bewegten. Vielleicht würde es bald regnen, vielleicht auch nicht.
Dann plötzlich erschrak sie, weil eine Mail sie erreichte. Der Laptop machte leise »Pling«, aber in der Stille kam ihr das leise »Pling« wie Kanonendonner vor.
Sie wollte jetzt keine Mails lesen, am allerwenigsten eine von Alex. Wenn er ihre äußerst prägnante
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