Die wundersame Geschichte der Faye Archer: Roman (German Edition)
Sie stellte das Fahrrad an die Wand, ließ die Tür hinter sich ins Schloss fallen, seufzte. Sie zog ihre Schuhe aus, ließ sie mitten im Raum liegen, gleich neben ihrer Tasche, den Schlüsseln und der Jacke, ein Häufchen Zeugs aus ihrem Leben, mehr nicht. Dann schnappte sie sich den Laptop, machte ihn an und öffnete die Mails. Er hatte natürlich nicht mehr geschrieben. Was hatte sie auch erwartet? Trotzdem konnte sie nicht anders, als Alex Hobdons letzte Mail erneut zu lesen, und dabei dachte sie andauernd an die Begegnung vorhin auf der Straße und an alles andere auch. Mist! Mit dieser Wendung hatte sie nicht gerechnet. Nicht nach dem, was er ihr geschrieben hatte. Ihre Finger tippten die nächste Mail wie ganz von allein, so, als sei dies alles nur ein Traum.
Holly_Go!
Arschloch!
Manchmal muss man eben nur sagen, was man denkt, und schon hat man das Gefühl, genau das Richtige getan zu haben. Sie starrte die Mail an, nur ganz kurz und ohne wirklich an ihrer Botschaft zu zweifeln; dann schickte sie sie los, ohne weiter darüber nachzudenken.
Bevor eine Antwort eintrudeln konnte, schaltete sie den Laptop aus. Sie öffnete das Fenster, ließ frische Luft herein, schlurfte zur Küchenzeile, durchsuchte den Schrank, fand, wonach sie suchte, und öffnete die Flasche Rotwein, die sie erst am Vortag gekauft hatte. Sie schnappte sich ein Glas – wenn sie die Sache schon so anging, dann wenigstens mit Stil –, schlurfte müde und deprimiert mit Glas und Flasche zur Couch und ließ sich auf die Punkte sinken. Dann trank sie zwei Gläser, viel zu schnell hintereinander, stand auf, lief rastlos in der Wohnung umher, schaute aus dem Fenster, drehte eine weitere Runde durch die Wohnung, kickte ihre Schuhe zur Seite, sodass sie neben dem Fahrrad liegen blieben. Na ja, da störten sie wenigstens niemanden. Oder zumindest würde sie selbst am nächsten Morgen nicht über sie stolpern, wenn sie betrunken, schlecht gelaunt und müde ihren Schlüssel suchen würde.
Sie kehrte zurück ins Wohnzimmer, wo sie sich ans Klavier setzte. Sie überlegte, was sie in ihrer Wohnung verändern könnte, als wäre das jetzt wichtig, und schließlich, nachdem sie das dritte Glas geleert hatte, ließ sie ihren Kopf auf die Tasten sinken. Die tiefen Töne drangen in ihr Bewusstsein, und Faye ließ zu, dass die bösen Bässe ihr das Herz zerrissen. Schon halfen ihre Finger nach, erst zögerlich, dann aufgewühlter, wütender, lauter. Sie rasten, immer schneller werdend, rauf und runter, Stakkato, wie ein Schrei, der von tief innen kommt.
Ihr Spiel war wild und laut und ungezügelt. Keinen Augenblick lang dachte sie an die Nachbarschaft. Nein, nicht jetzt, nicht an diesem Abend. Sie spielte weiter, und das, was sie spielte, troff vor Zorn und irgendwo auch vor verzweifeltem Selbstmitleid. Die Melodie fuhr auf in ungeahnte Höhen, in denen die Luft so dünn war, dass Faye dicke Tränen übers Gesicht liefen.
»Scheiße«, fluchte sie leise. Sie wollte jetzt nicht heulen, nicht aus Frust und auch nicht vor Traurigkeit. Wenn schon, dann nur vor Wut. Ja, zornig zu sein war absolut okay.
Mit den Fäusten schlug sie auf die Tasten ein, aber nur ein einziges Mal, weil das Klavier ja keine Schuld an allem trug – dessen war sie sich sogar nach den drei schnellen Gläsern Rotwein noch bewusst.
»Scheiße«, fluchte sie, so laut sie konnte. »Ich hasse dich!«
»Halleluja«, rief jemand von draußen.
Sie schaute zu dem geöffneten Fenster. Das hatte sie ganz vergessen.
Sie seufzte.
Oh, Mist!
Das war ja auch alles keine Lösung.
Sie wankte zum Plattenspieler – der Rotwein zeigte immerhin seine Wirkung, gut so! – und legte eine Schallplatte auf. Little Broken Hearts von Norah Jones. Sie kehrte zur Couch zurück, ließ sich fallen, schloss die Augen. Norah Jones wimmerte sich durch das Album, kläglich und der Welt und der Liebe und auch alles anderen überdrüssig, genauso wie Faye sich fühlte.
»So ein Mist«, sagte Faye noch mal und schaute aus dem Fenster, wo die Nacht sich in Schweigen hüllte. Nun denn, es wurde nicht besser, nur weil man es laut aussprach. Das Gefühl blieb, so hartnäckig wie eine Erkältung.
Ein letztes Glas, warum nicht?
»Lieber Rotwein als verknallt sein«, murmelte sie und war wütend auf sich selbst.
Dieser Dreckskerl. War das denn die Möglichkeit? Schrieb ihr all diese Mails und war mit Catwoman aus der Literaturkritik unterwegs, zusammen oder was auch immer. Faye kannte diesen Typ Frau. Ja, verdammter
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