Die wundersame Geschichte der Faye Archer: Roman (German Edition)
gebracht wurden, schienen diesen Tag mit seinen Pfützen zu genießen.
»Was soll’s.«
Faye verließ die Wohnung und rannte durch den Regen. Sie hatte einen altmodischen Schirm dabei, den sie mit Sicherheit wieder irgendwo vergessen würde. Als sie an einer großen Pfütze vorbeikam, fragte sie sich, ob sie mitten hineinspringen sollte. Hätte sich Alex Hobdons Spiegelbild in der Pfütze gezeigt, wäre sie mit beiden Füßen sofort hineingesprungen. Aber in ein graues Meer aus quellenden Wolken zu springen schien ihr an diesem Morgen wenig reizvoll, zumal sie es hasste, in Schuhen nasse Füße zu bekommen.
Den Weg von ihrer Wohnung in der Montague Street zum Real Books hatte sie heute besonders rasch zurückgelegt, und schon polterte sie mitten hinein in die Stille der morgendlichen Buchhandlung.
Mica, der auf dem Boden kniete und die Pflanzen goss, schaute auf, als sie mit einem Schwall kalter Luft in die Idylle platzte. Er trug ebenfalls Schwarz.
»Morgen.«
»Faye Archer«, sagte er, »du siehst aus wie das Wetter.«
»Du siehst aus wie ein Ninja.«
Er neigte den Kopf leicht zur Seite. »Und du wie jemand auf der Flucht.«
Sofort war sie sauer. »Sonst noch was?«
»Ich wollte nicht unhöflich sein.«
»Ach, nein?« Faye spürte, dass sie nur so darauf brannte, sich mit jemandem zu streiten. »Warst du aber.«
»Du siehst wütend aus«, stellte er fest. Er goss die Pflanze zu Ende und erhob sich.
War das denn die Möglichkeit? Sie war kaum im Laden, da hatte er sie bereits analysiert. Die Ruhe, mit der Mica Sagong seine Diagnose stellte, brachte sie noch mehr in Rage.
»Warum bist du so wütend?« Manchmal hatte er diese Eigenart, so unschuldig wie ein Kind Fragen zu stellen. Seine Stimme war dabei ganz leise. So kontrolliert und bedächtig, dass es einen in die Raserei treiben konnte. Ja, Mica Sagong war an diesem Morgen zweifellos das Gleichgewicht in Person.
»Ich bin nicht wütend«, sagte sie ärgerlich.
»Du hörst dich wütend an.«
Sie klappte den Schirm theatralisch zusammen und knallte ihn lauter als nötig in die Vase neben dem Eingang. »Findest du nicht, dass es jetzt reicht?«
Mica stand ruhig da und sah sie an. »Ich kenne dich lange genug, um zu erkennen, wenn du so richtig wütend bist. Und heute bist du wütend. Und du bist müde.«
Sie zog den Mantel aus. »Sonst noch was?« Sie ging rüber zur Garderobe im Kabuff und hängte ihn an den Haken.
Mica rief ihr nach: »Wenn man zu viel negative Energie in sich hat, muss man einen Weg finden, sie loszuwerden.«
Sie drehte sich um, ging in den Laden zurück, starrte ihn an.
»Sonst platzt man irgendwann.« Micas Blick ruhte auf ihr.
Sie funkelte ihn entnervt an.
»Manchmal braucht man jemanden, der diese Energie entfesselt.«
»Mica«, warnte sie ihn.
»Es ist noch niemand da. Kein Kunde.«
Faye blieb stocksteif auf der Stelle stehen. Sie ballte die Fäuste. Sie wusste, worauf er hinauswollte.
»Du wirst dich besser fühlen, wenn du es getan hast.«
»Ich werde das nicht tun. Es ist albern.«
»Doch, wirst du. Es wird dir guttun. Auf wen bist du wütend?«
»Auf …« Sie verkniff sich die Antwort.
Mica brachte es trotzdem auf den Punkt. »Du bist auf diesen Zeichner sauer.«
Sie senkte den Blick, atmete nur.
»Du bist wütend auf Alex Hobdon. So lautete doch sein Name.«
Sie ballte die Fäuste noch fester. Alles in ihr spannte sich an. Dann schrie sie laut drauflos und trampelte mit den Füßen auf dem Boden herum. Sie spürte, wie die letzten Regentropfen ihr aus dem Haar fielen. Und sie wusste, wie bescheuert das, was sie gerade tat, aussah.
Als sie fertig war, holte sie tief Luft.
Mica kam auf sie zu. »Gut, Faye Archer. Fühlst du dich jetzt besser?«
»Blöder Shaolin«, sagte sie, musste aber lächeln.
Er grinste. »Das war so was von … du!«
Sie seufzte erneut. »Darf ich heute früher gehen?«, kam sie ziemlich direkt zur Sache.
»Warum?«
Sie hatte sich etwas ausgedacht. »Ich muss heute Nachmittag rüber zum Waverly Place.«
»Das ist in Manhattan.«
»Genau genommen«, verbesserte sie sich, »muss ich zur West 8 th Street, in der Nähe des Waverly Place.«
»Dann willst du wohl eine ganze Weile eher gehen.«
Sie nickte schuldbewusst und warf ihm einen bettelnden Blick zu.
»Du weißt, dass dieser Blick bei mir nicht funktioniert.«
»Es ist wichtig.«
Er nickte. »Du siehst, wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf, so aus, als hättest du gestern dein Gleichgewicht verloren.«
Faye,
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