Die wundersame Geschichte der Faye Archer: Roman (German Edition)
nichts Besseres gab als das.
Als sie zum zweiten Mal an diesem Morgen aufwachte, erhob sie sich widerwillig, schlurfte muffig und verpennt durch die Wohnung, ziellos und im Schneckentempo, die Tasse Kaffee in der Hand. Irgendwann duschte sie, schlüpfte anschließend in ihre weite Yogahose und ein Sweatshirt mit der kryptischen Aufschrift Om what may , setzte sich erst auf die Couch und dann auf die Matratze und rief Dana an, aber Dana war wohl unterwegs oder hatte Besuch.
»Alex Hobdon«, sprach Faye auf die Mailbox, »ist Geschichte«, und fügte hinzu: »Ich war so gut!« Sie betonte den Satz, wie Sieger die Sätze betonten, wenn sie angeben wollten.
Ja, eigentlich hatte sie das alles ganz gut gemeistert. Kein Grund, Trübsal zu blasen.
Vage kehrten ihre Gedanken zu dem begeisterten Blick zurück, den Aaron Lescoe ihr zugeworfen hatte. Sie war nicht zu betrunken gewesen, um diesen Blick zu bemerken. Er hatte sie angesehen, wie sie schon sehr lange niemand mehr angeschaut hatte, oder jedenfalls niemand, von dem Faye es sich gewünscht hätte, dass er sie so ansah.
Sie lächelte und fragte sich, ob sie Aaron wohl auf der Straße wiedererkennen würde. Sie war sich nicht sicher. Na ja, wenn er sie genau so anschauen würde, dann …
Sie grinste.
Hey, das Leben war eigentlich doch gar nicht so übel!
Sie stand auf, ging zum Fenster, öffnete es und schüttete den Rest des Kaffees in den Blumenkasten, wo er, genau wie immer, ganz langsam in die Erde sickerte. Sie sog die frische Luft ein und überlegte, ob sie ein bisschen Yoga machen sollte, entschied sich aber dagegen. Stattdessen suchte sie sich einen Film im Internet und schaute sich die Hälfte an, dann schlief sie wieder ein.
Am späten Nachmittag, als es draußen bereits dämmerte, wurde sie wach. Sie setzte sich ans Klavier und begann etwas zu spielen. Einfach nur so, weil ihr danach war. Sie hatte das Gefühl, als wollte eine Melodie, die sie tief in sich trug, geboren werden. Es war ein wirklich gutes Gefühl; eines, auf das man wartet, und eines, das den Herzschlag jedes Musikers schneller werden lässt.
Außerdem fand in weniger als einer Woche das Konzert statt, drüben in der Cushion Factory. Wochenlang hatte sie sich davor gedrückt, neue Melodien zu suchen. Dann waren ihr »September on my tongue« und »Brooklyn Waltz« eingefallen, und jetzt, nach all den Wochen der Untätigkeit, fühlte sie sich auf einmal danach, etwas zu komponieren. Sie war müde, sie wusste nicht einmal, ob es ihr gut ging oder nicht, aber trotz allem wollte sie endlich wieder singen und summen und sich Melodien und Texte ausdenken. Ja, jetzt war es endlich wieder so weit. Plötzlich, ohne Ankündigung. Warum also warten?
Silent Movie Moments stand auf dem Plakat, das T. C. ihr gezeigt hatte, groß und in Schwarz-Weiß, mit einem Bild, das Holly Go! ankündigte. Nur das Klavier und sie, vielleicht noch die Ukulele, die sie schon länger nicht mehr benutzt hatte. Plötzlich wusste Faye, was zu tun war. Sie wollte nicht mehr an Alex denken. Sie fragte sich zwar noch immer, welch krankes Spiel er mir ihr gespielt hatte, aber all dieses Grübeln führte zu nichts. Vor vier Jahren! Meine Güte, sie hatte ihn vor vier Jahren doch überhaupt nicht gekannt. Alles andere war glatt gelogen. Und seiner Freundin ging es ja wohl kaum besser als ihr.
»Manchmal«, hatte Dana ihr einmal gesagt, »muss man, so schwer einem das auch fallen mag, akzeptieren, dass viele Männer einfach nur Arschlöcher sind.«
Faye klimperte gedankenverloren vor sich hin, und irgendwann auf dem Weg über die Tasten fand sie endlich eine kleine, überdrehte Melodie, die sich festzuhalten lohnte, eine schnelle Folge von Tönen, die auf und ab hüpften, unruhig und rastlos, ganz so, wie Faye sich fühlte. Ein wenig wie die Filme von Hal Roach. Zerrissen wie Stan Laurel und Oliver Hardy, chaotisch wie Harold Lloyd, übermütig wie die Marx Brothers. Sie ließ die Melodie nicht los, und unvermittelt fiel ihr auf, dass der Stuhl, auf dem sie saß, ein wenig wacklig war. Sie dachte an all die Dinge, die man mit einem Stuhl, der wacklig war, so anstellen konnte. Daran, was Menschen zustoßen konnte, wenn sie es mit einem wackligen Stuhl zu tun bekamen.
Sie musste lächeln, hörte aber nicht auf zu spielen, und plötzlich verschwand die Welt um sie herum, wie sie es immer tat, wenn die Musik Besitz von ihr ergriff.
Sie schnappte sich ein Blatt, das auf dem Boden lag, und kritzelte eilig krumme und schiefe
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