Die wundersame Geschichte der Faye Archer: Roman (German Edition)
Startschuss.
Ohne die Anwesenden noch eines Blickes zu würdigen, ging sie eilig auf den Ausgang zu, immer schneller, bis sie, kurz vor der Treppe nach oben, fast schon lief. Egal, dann rannte sie eben. Plötzlich hatte sie das Gefühl, die Luft würde ihr knapp. Sie konnte nicht mehr atmen. Auf einmal war der Club nichts anderes als eine riesige stickige, rauchige Höhle voller Lärm und voller Menschen, mit denen sie nichts zu tun haben wollte. Ja, sie musste hier raus. Sie wollte die kalte Luft atmen, in den Nachthimmel blicken und sich den Regen ins Gesicht fallen lassen. Alles, nur nicht hier bleiben. Sogar die Buddhas und Shivas an den Wänden sahen furchterregend aus. Der Geruch der Duftkerzen machte sie schwindlig, die Musik erschien ihr unerträglich, zu laut und zu schnell und auch zu unecht.
Deswegen rannte sie. Deswegen hatte sie nicht vor, zurückzuschauen.
An der Treppe spürte sie eine Hand auf ihrer Schulter. Nur kurz, dann ließ die Hand ihre Schulter los.
»Faye!«
Alex Hobdon.
Diesmal mit der sanften Stimme.
Sie atmete tief durch, drehte sich aber nicht zu ihm um. Er war ihr nachgelaufen; warum hatte er das getan?
Erneut seine Hand auf ihrer Schulter. »Was du sagst, ergibt keinen Sinn.«
Der Zorn packte sie von Neuem. Was bildete der Kerl sich nur ein? Faye riss sich los, drehte sich zu ihm um, ruckartig, wie eine Furie. »Fass mich bloß nicht an!«, schrie sie so laut und so wütend, dass Alex unwillkürlich einen Schritt zurückwich. »Lass mich in Ruhe, verdammt noch mal.«
Dann lief sie die Treppe hinauf, an den Leuten vorbei, weiter und immer nur weiter. Jetzt wollte sie nur noch nach draußen. Fort von hier, wo alles zu einem Albtraum geworden war, und das innerhalb von Sekundenbruchteilen. Ja, sie MUSSTE einfach nach draußen, wenn sie überleben wollte.
Sie wusste nicht, ob Alex ihr noch hinterherlief, aber sie glaubte es nicht. Er hatte genug Probleme. Jennifer Towles würde ihm die Hölle heiß machen, so viel war mal klar.
Und Faye?
Sie wollte nicht länger nachdenken, was hier los war. Es gab keine richtige Erklärung, nur Lügen. Überall. Aber warum sich grämen? Lügenlieder. Herrje, sie hatte soeben doch nur eine unglückliche Episode ihres Lebens beendet. Mit jeder Menge Ramos Gin Fizz. Kein Grund, diese Sache zu dramatisieren. Es war vorbei, bevor es begonnen hatte. Sie war die Bestimmerin! So was passierte. Nicht nur ihr, sondern vielen. Überall. Es passierte andauernd. In Brooklyn, in Manhattan und vielerorts sonst auf der Welt.
Sie rannte nach draußen, blieb mitten auf dem Rasen stehen. Nieselregen, Wind, Kälte, Herbst. Sie sah sich um. Vorn, an der Straße, hielt ein Taxi. Das einzige Taxi weit und breit.
Klasse, sie musste hier weg.
Sie rannte zur Straße, die in beiden Richtungen leer war. Die Gäste, die in der Schlange vor dem Eingang warteten, sahen ihr mit neugierigen Blicken nach.
Sie stockte.
Mist! Da war schon jemand im Taxi.
»Faye!«
Sie drehte sich nicht um. Nein, sie musste jetzt konsequent bleiben! Nicht zu ihm umdrehen!, schrie es in ihr. Auf gar keinen Fall, nicht schauen, nicht reden, nicht anhalten.
Stattdessen lief sie auf das Taxi zu und schlüpfte, ohne nachzudenken, hinein, gerade noch rechtzeitig, bevor es losfahren konnte. Der Mann, der auf der Rückbank saß, rutschte instinktiv höflich zur Seite. Sie stieß gegen ihn, rappelte sich auf, strich sich das Haar aus dem Gesicht, lächelte freundlich und ein wenig überdreht. »Hi«, sagte sie und sah ihm in die Augen.
»Kennen wir uns?«
»Nein«, log sie. Es war der Mann, den sie vorhin auf der Tanzfläche gesehen hatte. Er hatte ihr einen langen Blick zugeworfen, und sie hatte sich gut gefühlt dabei. Umschwärmt, ja, genau so hatte sie sich in diesem Moment gefühlt. Und dann war er in der Menge verschwunden, und jetzt war er hier, in diesem Taxi, das wohl gerade das einzige Taxi vor Ort war.
»Teilen wir uns die Fahrt?«, fragte sie.
Der Mann zuckte die Achseln. »Können wir beide uns diese Fahrt teilen?«, fragte er den Taxifahrer.
»Von mir aus«, brummte der.
Faye lächelte. Aus dem Augenwinkel spähte sie hinüber zum Sansara Club. Sie sah Alex Hobdon; er stand noch immer im Eingang, nur eine Silhouette in der Ferne, kaum mehr.
»Ich bin Aaron Lescoe«, stellte sich ihr Mitfahrer vor.
»Faye«, sagte Faye.
Dann fuhren sie los. Sie spürte, dass Alex Hobdon ihnen hinterhersah, aber daran wollte sie jetzt nicht denken. Sie wollte einfach nur nach Hause in die
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