Die wundersame Geschichte der Faye Archer: Roman (German Edition)
Zeilen darauf, sang sie zu der Musik, wie sie ihr einfielen, strich Sequenzen durch, kürzte, spielte und sang andere Sequenzen, probierte dies und jenes aus. Nach einer Weile, es dauerte nicht lange, kam ihr ein Titel in den Sinn: »Chaplin’s Chair«.
Wie passend. Slapstick. Die Melodie schaukelte hin und her, verwirrt und ausdrucksstark wie die Menschen in den Filmen, die sie so mochte. Ja, sie würde den Song »Chaplin’s Chair« nennen, ganz klar. Während sie weiterspielte, wurde die Melodie ausgereifter, noch lustiger, der Refrain kehrte wie von allein wieder. Sie schrieb die Noten auf, arrangierte um, versuchte noch ein paar Variationen, bevor sie halbwegs zufrieden war. Nach zwei Stunden kehrte sie dem Klavier den Rücken, ließ sich auf die Couch fallen und schloss die Augen.
»Ha!«, sagte sie laut. Zum ersten Mal seit langer Zeit hatte sie das Gefühl, dass sie noch viele andere Lieder komponieren würde. Faye Archer, eben noch deprimiert, fühlte sich einfach nur gut; so verdammt gut, wie sich jemand fühlt, der gerade bemerkt, dass er am Anfang von etwas steht, auch wenn er noch nicht so richtig weiß, was es sein wird.
Sie machte sich einen Teller mit Kräuterquark, Nachos, Käse und Brot, dazu ein Glas Wein, schaute sich den Rest ihres Films an und genoss es, das alles tun zu können.
Am Abend, als alles still war, saß sie am Fenster und schaute zu den anderen Häusern hinüber. So viele Menschen wohnten überall dicht an dicht, jeder hörte die Geräusche des anderen, jeder lauschte den Geschichten, die er oftmals gar nicht ignorieren konnte, weil sie einander wie Hunde in der Nacht ankläfften. Sie betrachtete die leere Tasse neben dem Blumenkasten, die dunklen Ränder darin. Es war so einfach, es zu sehen.
»Miss Coffee« war der nächste Gedanke. Auch ein guter Titel. Sie lief in der Wohnung herum und notierte sich aufgeregt in Stichworten, worum es in dem Lied ging.
»Jemand, der zu viel Kaffee trinkt«, murmelte sie. »Das ist es.« Eine Frau, ja, sie kann nicht schlafen, weil sie zu viel Kaffee trinkt, und dann hört sie all die Geräusche in der Nacht, aus den anderen Wohnungen, aus dem Treppenhaus, durch die Wände, von draußen, von der Straße und den Hinterhöfen. Dieser Strudel aus Geräusche lässt sie nicht schlafen, und sie versucht zu arbeiten, um sich abzulenken. Damit sie wach bleibt und arbeiten kann, trinkt sie noch mehr Kaffee, aber sie kann sich nicht auf die Arbeit konzentrieren. In dem Song ist es unwichtig, was die Frau arbeitet, wichtig ist nur, dass sie arbeitet, eine Andeutung jedoch, dass sie vielleicht Künstlerin ist, wäre nicht schlecht.
»I am Miss Coffee«, schrieb sie auf, »that’s my name.«
Die meisten Leute gingen sowieso davon aus, dass sie von sich selbst sang. So war das eben. Faye konnte es in ihren Gesichtern lesen, wenn sie einen Auftritt hatte. Ja, jeder würde sich denken, dass sie damit gemeint war.
Sie musste lächeln und schrieb unbeirrt weiter.
Zwei Songs an nur einem einzigen Tag, das war nicht schlecht. Sie war erleichtert.
Nachdem sie mit »Miss Coffee« fertig war – ein Walzer war es geworden, hey, wer hätte das gedacht? –, schrillte das Telefon. Sie erschrak, lief ins Schlafzimmer, überlegte unschlüssig, ob sie nun abheben sollte oder nicht. Am Ende siegte die Neugierde.
»Faye Archer ist nicht zu Hause«, meldete sie sich.
»Dana auch nicht.«
Sie atmete auf. Kein Ian Hedges, kein sonst wer. Nur eine Stimme, die guttat wie Honig im Tee bei Halsschmerzen.
»Alex ist Vergangenheit«, sagte Faye bestimmt.
»Ich habe die Mailbox abgehört. Du hast ihn wirklich abgesägt? Ernsthaft? An nur einem Abend?«
»Ernsthaft!«
Dana erwachte so richtig zum Leben. »Was ist passiert? Los, erzähl mir alles. Schließlich rufe ich nur deswegen an.«
»Tolle Freundin«, sagte Faye. Und dann berichtete sie von allem, was sich im Sansara Club zugetragen hatte. Sie redete und redete und hatte das Gefühl, sich sogar an das noch so kleinste Detail erinnern zu können. »Ich habe echt keine Ahnung, was das soll. Vor vier Jahren sollen wir uns gemailt haben. Alles Quatsch.«
»Der Kerl lügt wie gedruckt.«
»Sehe ich auch so.« Ihre Stimme klang entschieden. Sie dachte an Alex Hobdons Geschichten. Verdammt noch mal, sie hatte ihm geglaubt! War das denn die Möglichkeit?
»Ich bin stolz auf dich, Darling.«
Zum Teufel mit Alex Hobdon! »Weißt du, was das Beste ist?«
»Du hast jemand anders kennengelernt?«
Typisch Dana!
»Wir
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