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Die wundersame Geschichte der Faye Archer: Roman (German Edition)

Die wundersame Geschichte der Faye Archer: Roman (German Edition)

Titel: Die wundersame Geschichte der Faye Archer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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Montague Street, nur das und sonst wirklich gar nichts.

10
    Alles, woran Faye sich am nächsten Morgen noch erinnerte, waren vage, im Dunst des Erwachens unscharf aufflackernde Bilder, die samt und sonders so belanglos und vernebelt waren wie die Szenen, die manchmal im Abspann von Filmen gezeigt werden; jene Szenen, die nicht im Film enthalten sind, weil sie misslungen sind oder einfach nur unwichtig, Szenen, die holprig klingen und unfertig aussehen und den sonst so temporeichen Rhythmus der Handlung so stark stören, dass wirklich niemand sie sehen will. Aaron Lescoe – das war der Name, daran erinnerte sie sich noch – hatte mit ihr geredet und gelacht, aber das, was er gesagt hatte, war nicht wirklich bis zu ihr vorgedrungen. Sie hatte ihm geantwortet, ein netter Small Talk im Taxi unter Fremden, das war es gewesen, und sonst nichts, aber vielleicht war das ja auch schon viel. Er hatte ihr erzählt, was er so machte, beruflich, aber sie hatte die Details vergessen. Irgendetwas Wichtiges, klar. Was sonst? Welcher Mann sagte nicht, dass er irgendwas Wichtiges machte? Sie alle taten das. Alle hatten sie wichtige Jobs, voller Verantwortung. Viele hatten eine eigene Sekretärin, die Arroganten ließen es sogar nach Sklavenhaltung klingen, und ein eigenes Büro, manche sogar einen Dienstwagen. Diejenigen mit den Jets, die Wall-Street-Jungs, hatte sie noch nicht kennengelernt und war auch nicht scharf darauf – die waren eher ein Fall für Dana Carter. Wie auch immer, Aaron Lescoe, mit einem A wie Alex und einer Stimme, die sehr musikalisch geklungen hatte, war nett und höflich gewesen. Er hatte ihr ein paar kleine, unverfängliche Komplimente gemacht, mehr nicht. In der Montague Street war sie ausgestiegen, hatte ihm ein schönes Leben gewünscht, das war alles. Die Komplimente hatte sie natürlich, wie jede Frau das tat, dankbar entgegengenommen, einfach nur, weil es unglaublich gutgetan hatte, sie zu hören.
    »Man sieht sich immer zweimal im Leben«, hatte er zum Abschied gesagt. Er hatte gelächelt, und dann war das Taxi in die lichthelle Nacht verschwunden.
    Faye war die Treppe hinaufgewankt, langsam, sehr vorsichtig, ziemlich allein, sich mit Bedacht am Geländer festhaltend, irgendwie zufrieden und irgendwie dann doch wieder nicht, in jedem Fall aber durcheinander, weil so viel Seltsames geschehen war. Sie war sofort ins Bett gefallen, hatte die Augen geschlossen, geatmet, der Stille gelauscht, die Augen wieder aufgemacht – und die Decke angeschaut. Die Lichter der Straßenlaternen hatten dort oben Schatten hingezaubert. Wie komisch sich diese Schatten doch bewegen konnten, wie Schauspieler im Theater, die Tintenkleckse zu tanzen versuchten. Dann, endlich, war Faye eingeschlafen, und was immer sie auch geträumt haben mochte, war bleiern, schal und mit dem Sonnenaufgang verschwunden gewesen.
    Am nächsten Morgen fühlte sie sich weder gut noch schlecht, dafür aber sehr intensiv und irgendwo dazwischen, wobei sie niemandem hätte erklären können, was sie damit meinte, aber genau so fühlte es sich an. Das Telefon klingelte. Sie griff nach dem Hörer, hob ihn kurz hoch und legte ihn wieder auf die Gabel. Sie wollte mit niemandem reden, dafür war es noch zu früh. Überhaupt, wie spät war es? Hatte sie etwas vor? Welcher Tag war heute? Sonntag, okay, so viel war klar. Nach Samstagabend kam Sonntag. Das Telefon klingelte erneut. Sie zog eine Grimasse, schnappte sich den Hörer und hielt ihn sich mitten vors Gesicht. »Faye Archer ist heute, morgen und übermorgen nicht zu Hause«, sagte sie und erschrak beim Klang ihrer eigenen Stimme.
    »Ich bin es.« Ian Hedges!
    Ich bin es auch, dachte Faye. Klasse, was? »Legen Sie noch vor dem Piep auf, sonst explodieren Sie!« Warum meldete er sich immer nur mit »Ich bin es!«? Das hatte sie schon früher nicht gemocht. Warum meldete er sich überhaupt?
    Sie drückte die Gabel nach unten und legte den Hörer auf den Boden.
    Endlich Ruhe!
    »Hallo, Sonntag«, murmelte sie und fragte sich, warum ausgerechnet heute keine Sonne schien. Alles war grau, versunken in Wolken und Wind, dort draußen vor dem Fenster. Aber nicht hier, in ihrer gemütlichen Wohnung.
    Sie wickelte sich wieder in die warme Decke ein, schloss die Augen, drehte sich zur Seite, lauschte dem Regen, der gegen das Fenster prasselte, registrierte, dass der Tag sogar dunkelgrau war, und döste einfach weiter vor sich hin, weil es an dunkelgrauen Tagen wie diesem, die zudem noch ein Sonntag waren,

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