Die wundersame Reise einer finnischen Gebetsmühle
Traum gehabt und für dieses zweifellos schwierige Problem eine gute Lösung gefunden habe.
»Die bösen Taten werden gar nicht aufgeschrieben. In dieser Religion wird nicht verurteilt und nicht getratscht. Nur die Güte zählt.«
Lauri dachte eine Weile über Kalles Idee nach. Sie hatte zweifellos ihren Reiz. Jeder Mensch hatte garantiert etliche böse Taten auf dem Gewissen, bei manchen waren es nur ein paar Verfehlungen, aber bei richtigen Übeltätern ging es durchaus um schwere Verbrechen: Morde, Vergewaltigungen, Raubüberfälle, Körperverletzung … Die Menschheit machte sich laufend solcher Schandtaten schuldig. Aber wenn diese Gräueltaten keine Beachtung fänden, würde es auch keine religiöse Verurteilung geben.
Kalle ergänzte noch, dass selbst der schlimmste Verbrecher mithilfe der neuen Religion eine Liste guter Taten zustande bringen könnte, eine Art geistiges Portefeuille, das ein Glaubensbruder oder eine Glaubensschwester alle halbe Jahre im Zentralcomputer speichern würde. Das Register könnte Millionen, sogar Milliarden guter Taten fassen, eine unbegrenzte Anzahl. Der Zugang zum Register wäre zunächst nur jedem in eigener Sache erlaubt, aber später, nach Jahren, könnten auch Erben oder Forscher Einblick nehmen.
»Und hast du für uns einen Gott erfunden?«, fragte Lauri ungeduldig.
»Nein, keinen.«
16
Das Leben in Gefangenschaft fern der Heimat, ohne sichere Gewissheit über das eigene Schicksal und ohne Kontakt zu den Angehörigen, war eine harte Erfahrung für Kalle Homanen und Lauri Lonkonen. Ihr Essen bestand aus einer dünnen, stinkenden Suppe. Beide dachten wehmütig an ihr gemeinsames finnisch-indisches Restaurant und seine Köstlichkeiten. Die meiste Sorge bereitete ihnen jedoch das bevorstehende Urteil.
»Ich habe wirklich echte Angst«, sagte Lauri zu seinem Gefährten, der die Religion ins Feld führte:
»Wir sollten ernsthaft anfangen zu beten«, meinte Kalle.
Der christliche Glaube war den Finnen natürlich vertraut. Lauri und auch Kalle hatten sogar als Kinder die Sonntagsschule besucht, und später waren sie konfirmiert worden. Wie Kalle berichtete, war er allerdings mindestens dreimal aus der Sonntagsschule abgehauen. Er war einfach in Gedanken auf den Schulhof gegangen, über den Zaun geklettert und auf die Landstraße getrabt, dort hatte man ihn aufgegriffen und zurückgebracht.
»Ich hatte damit gar nichts Besonderes beabsichtigt, bin einfach losgegangen, so war ich damals eben.«
Lauri erinnerte sich, dass er in der Sonntagsschule ein braver Junge gewesen war. Aber man hatte ihnen dort große Bilder von hässlichen bärtigen Männern gezeigt, und er hatte schreckliche Angst vor Jesus und Gott gehabt, weil sie so furchtbar böse aussahen.
Die Erinnerungen an den Konfirmandenunterricht waren noch weitaus farbiger. Kalle war aus dem Konfirmandenlager ausgerissen, war unerlaubt und auf eigene Faust in die Stadt zurückgekehrt. Zusammen mit zwei Kumpels hatte er Haschisch probiert und Alkohol getrunken. Zwei Tage hatten sie herumgesumpft, und wegen dieses Ausflugs wäre er beinah nicht konfirmiert worden. Aber da er seine Verfehlungen tief bereut und um Vergebung gefleht hatte, hatten die Lehrer Gnade walten lassen.
Lauri hatte sich beim Konfirmandenunterricht so unsterblich in ein hübsches Mädchen verliebt, dass er geglaubt hatte, am gewaltigen Feuer seiner Gefühle sterben zu müssen, wenn die Angebetete ihm, dem schüchternen Jungen, nicht wenigstens einmal in die Augen sehen und ihn anlächeln würde. Aber später hatte dann ihre zwei Jahre ältere Schwester sein Herz gewonnen, mit ihr hatte er sich verlobt und sie anschließend geheiratet. Lauri und Irma waren heute immer noch ein Paar, sie hatten Kinder, ein schönes Heim und alles.
»Du kennst ja meine Irma.«
Die beiden Gefährten hatten inzwischen, speziell in letzter Zeit, Kenntnisse über den Buddhismus, den Schiismus und mithilfe der Gebetsmühle auch über den Hinduismus erworben. Lauri wusste über die großen Ideologien der Menschheit Bescheid, über den Sozialismus, den Kommunismus und den Faschismus. Und auf ihrer aktuellen Reise hatten beide außerdem Einblicke in die Lehren von Konfutse, ins Ariertum und auch in den Maoismus bekommen, der freilich einen Großteil seiner Strahlkraft verloren hatte.
Lauri hatte sich während der Reise gründlicher als Kalle mit dem Buddhismus beschäftigt, der, so hatte er erfahren, drei Hauptrichtungen hatte. Zwei davon waren in Indien verbreitet, aber
Weitere Kostenlose Bücher