Die wundersame Reise einer finnischen Gebetsmühle
Lager war so gestaltet, dass sich auf der einen Seite des Ofens der Schlafbereich befand, darin standen zwei geräumige Sperrholzkisten, eine als Aufbewahrungsort für die Kleidung, die andere enthielt die Bettwäsche sowie das Rasierzeug und andere persönliche Hygieneartikel. Als Schlafstatt diente ein Bett mit einem geflochtenen Rost, darauf lagen eine Schaumgummimatratze, zwei große Kissen, das Laken und eine dicke Decke. Somit eine Schlafgelegenheit fast mit Hotelzimmerniveau.
Kalle erinnerte sich, dass er als Knabe im Pfadfinderlager bei Weitem nicht so herrschaftlich geschlafen hatte. Auf eine Unterlage aus Tannenzweigen wurde eine versiffte Decke geworfen, das war alles.
Dem Schlafbereich gegenüber, auf der anderen Seite des Ofens, befanden sich Küche und Vorratslager. Die Esswaren hatte Tsu in eine stabile Truhe gepackt, deren Deckel mit einem großen Vorhängeschloss versehen war. Er erzählte, dass außer ihm auch noch andere Raubtiere im Gebirge unterwegs waren. Manchmal wagten sich hungrige Bären ins Lager, die sich sicherlich gern über sein Brot, sein Mehl, das getrocknete Fleisch und den Fisch hergemacht hätten, aber der stabilen Eichentruhe konnten auch ihre Krallen nichts anhaben. Oft versuchten sie die Truhe zu öffnen, sie drehten und wendeten sie, aber stets hielten die dicken Bretter stand, und die Petze mussten sich mit leerem Magen trollen.
In einer zweiten Kiste bewahrte Tsu sein Geschirr auf. Er hatte verschiedene Trinkgläser sowie Teller und Besteck jeweils für sechs Personen, nicht weil er in seinem Lager große Essen geben wollte, aber Geschirr musste trotzdem mehrfach vorhanden sein, damit er in puncto Abwasch Reserven hatte. Die Kiste enthielt außerdem gusseiserne Kessel, eine Bratpfanne und Töpfe in verschiedenen Größen. Plastiksäcke, ein Tischtuch sowie Taschentücher wurden dort ebenfalls aufbewahrt. Auf einem Regal stand Tsus Lagerbibliothek. Wie er erzählte, handelte es sich um Werke über die Geschichte seines Heimatlandes, um chinesischsprachige Romane sowie mehrere Bildbände von Tibet und dem Himalaja. Kalle griff sich ein schönes Buch mit rotem Einband heraus, Maos Kleines rotes Buch . Darin blättern konnte man allerdings nicht, denn es enthielt keine einzige gedruckte Seite. Anstelle des Inhalts fand sich ein sauber bearbeitetes Holzstück von entsprechenden Abmessungen.
Tsu erklärte, dass es unter den Bedingungen im Gebirge nicht lohnte, ein so wichtiges Werk in gebundener Form aufzubewahren, ein Holzstück erfüllte denselben Zweck.
»Maos Gedanken sind so unsterblich, dass sie auch in hartem Holz überdauern«, behauptete der Riesenpanda.
21
Tsu legte das Pandafell ab. Darunter kam ganz gewöhnliche Trekkingkleidung zum Vorschein, Khakihosen und eine Windjacke. Das Fell hängte er an einen Strauch. Dann machte er Feuer im Ofen und begann damit, ein Lagermittag zuzubereiten. Lauri und Kalle holten ein paar Dosen mit Yak- und Kaninchenfleisch aus ihren Rucksäcken. Nach einer halben Stunde hatte der Ofen die nötige Hitze, sodass Fleisch zum Garen hineingeschoben werden konnte.
Bald zogen leckere Essensdüfte durchs Lager. Tsu pries das Gericht als seine Spezialität, er nannte es »Stolz des Gebirges«. Zur Geschmacksverstärkung fügte er selbst gesammelte und getrocknete Kräuter hinzu, deren Aroma mindestens so kräftig wäre wie an den besten chinesischen Festtafeln, versicherte er.
Nach der Mahlzeit wusch Kalle das Geschirr im nahen Bach ab. Lauri wiederum holte die Flasche mit dem chinesischen Reisschnaps hervor, die noch gut halb voll war, und schenkte ein. Man stieß auf die neue Freundschaft und die guten Beziehungen zwischen Kirgisien und Finnland an. Der fast hundertprozentige Schnaps stieg den Männern zu Kopf wie ein Dampfschwall in der finnischen Sauna. Auch die Wirkung war die gleiche, das glückliche, fast selige Gefühl, dass man sich zufällig in diesem fremden Erdenwinkel begegnet war und dass jeder irgendwie ähnlich über das Leben im Allgemeinen und die Welt im Besonderen dachte.
Lauri wollte die Stimmung noch steigern, also stellte er die Gebetsmühle auf die Kleiderkiste und schaltete sie ein. Und, oh Wunder, die Akkus funktionierten nach wie vor ausgezeichnet. Kalle hatte sie offenbar während der Bahnfahrt aufgeladen.
Gebete waren allerdings keine zu hören, jemand hatte die frommen Andachten durch Aufnahmen mit seltsamem Gestöhne und weiblichem Gekicher ersetzt. Auch laute Musik ertönte, irgendein schrilles Stück auf
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