Die wundersame Reise einer finnischen Gebetsmühle
spüren. Tsu war ein geübter Wanderer, aber Lauri und Kalle hatten keine so eiserne Grundkondition. In der Zeit, da sie in den Klosterzellen herumgelegen hatten, waren auch die vorhandenen Muskelkräfte noch geschwunden. Am dritten Tag besserte sich jedoch ihre Kondition, und die Muskeln schmerzten nicht mehr so heftig wie zu Beginn der Wegstrecke. Die Stimmung der Wanderer war großartig. Die schneebedeckten, zerklüfteten Gipfel ragten in den wolkenlosen Himmel. Manchmal schwebten hoch oben Adler mit breiten Schwingen, und Tsu erklärte, dass sie wahrscheinlich ein Ren oder einen Gebirgsbock gesichtet hätten.
Die Tage vergingen rasch beim zügigen Wandern, aber die Nächte waren schwierig, denn jeden Abend vor Einbruch der Dunkelheit musste ein neues Lager errichtet und Essen gemacht werden. Im Allgemeinen übernachteten sie unten in den Tälern, wo es wärmer war als auf den schneebedeckten Hängen. Tsu röstete Fleisch über dem Feuer und backte sogar ein paar Mal Brot auf heißen Steinen. Das typische tibetische Fladenbrot war wirklich lecker. Lauri und Kalle betätigten sich als Gehilfen des Kochs und sammelten Feuerholz, damit sie alle nachts in der Wärme der Flammen gut schlafen konnten. Tsu teilte die Wachen so ein, dass immer zwei Männer schlafen konnten, während der dritte das Feuer beobachtete. Manchmal war nachts aus den Bergen das melancholische Geheul von Wölfen zu hören. Tsu war der Meinung, dass der Feuerschein genügte, die Raubtiere fernzuhalten.
An den langen Abenden erzählten Lauri und Kalle ihm von der Religion, die sie auf ihrer Reise entwickelt hatten. Tsu bekundete Interesse, nachdem er erfahren hatte, dass es keinen speziellen Gott gab, sondern die Gläubigen das Weltall um Schutz baten. Er fand die Idee ausgezeichnet und versprach, sofort zum Befürworter der neuen Religion zu werden. Sowie sie in Indien angekommen wären, würde er nach einer geeigneten Person suchen, die als sein Glaubensgefährte fungieren könnte. Er vermutete, dass es Millionen Williger gäbe, die sich bekehren lassen würden.
Die sonnigen Hochsommertage vergingen wie im Flug. Nach viertägiger Wanderung erreichten die drei die Grenzzone zwischen China und Indien. Hier wurde der Gebirgspfad zu einer Straße, die mit Geländewagen befahren werden konnte. Hier und dort gab es Stützpunkte der chinesischen Grenztruppen.
Die Grenze zwischen China und Indien wurde streng bewacht. Vor einigen Jahren hatte es dort Zwischenfälle gegeben, und man hatte befürchtet, dass zwischen den beiden Riesenreichen ein Krieg ausbrechen könnte. Zum Glück hatten die Konflikte beigelegt werden können, aber immer noch patrouillierten starke Truppen an der Grenze. Tagsüber kam eine Überquerung nicht infrage, aber in der Nacht konnte es vielleicht glücken. Tsu war ein gewitztes Kind der Einöde und hatte schon öfter Staatsgrenzen ohne Visum überwunden. In Asien war es üblich, dass die Leute, ohne sich um Grenzformalitäten zu scheren, ins Ausland flüchteten, wo mehr Freiheit herrschte. Tsu hatte sich seinerzeit aus Kirgisien abgesetzt, sich anschließend in China herumgetrieben und war nun dabei, zwei Finnen von Tibet nach Indien zu führen.
Sie überquerten die Grenze in den frühen Morgenstunden. Hier und dort waren Patrouillen mit Hunden unterwegs, aber zum Glück witterten die Köter die Flüchtlinge nicht, die sich im Dunkeln versteckten. Die Grenze selbst war nicht mit einem Zaun gesichert, sodass man auch ohne Tageslicht hinübergelangen konnte. Im Morgengrauen traf das Trio in Indien ein und meldete sich bei den dortigen Beamten.
Die Offiziere des indischen Grenzpostens hießen die Wanderer in der Freiheit willkommen. Nach einem kurzen Verhör übergaben sie ihnen Busfahrscheine und ließen sie ziehen. Am nächsten Tag erreichten die drei die Residenz des Dalai Lama. Die Mungos erkannten ihre ehemaligen Herrchen sofort, hatten aber auch keine Scheu vor Tsu. Ihnen gefiel das mächtige Pandafell, sie schlüpften durch die Ärmel hinein, leckten Nase und Ohren des Schneemenschen und turnten auf seinen Schultern herum.
Als der Dalai Lama sah, wie gut die Mungos und Tsu miteinander auskamen, hatte er eine Idee: Wie wäre es, wenn Tsu als Verwalter, Leibwächter und Pfleger der Mungos bei ihm bliebe? Er würde dasselbe Monatsgehalt bekommen, das man ihm für seine Auftritte als Schneemensch in Tibet bezahlt hatte. Tsu bedankte sich für das edelmütige Angebot und sagte, dass er gern bleiben und dem Dalai Lama dienen
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