Die Wurzeln des Himmels: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)
Evangelisten Markus, die Stadt, die ein toter Wald ist … Hast du eine Ahnung, was damit gemeint sein könnte?«
Bune senkt den Kopf und brummt etwas, das nach einem nein klingt und mich ganz und gar nicht überzeugt.
»Du hast nicht die geringste Ahnung?«, hake ich nach.
Er winkt mit der Hand – es sieht aus, als wollte er eine Fliege verscheuchen.
»Wir wissen wenig von Markus. Das meiste davon sind Legenden. Es gibt gewisse Hinweise darauf, dass er in Jerusalem geboren wurde und dort lebte. Im ersten Brief des Petrus heißt es: ›Es grüßen euch, die samt euch auserwählt sind zu Babylon, und mein Sohn Markus.‹ Im Sprachgebrauch des ersten Jahrhunderts war mit ›Babylon‹ Rom gemeint. Die Markuskirche vor dem Kapitol soll an genau dem Ort errichtet worden sein, wo Markus während seines Aufenthalts in Rom wohnte. Damit haben wir schon zwei Städte als Kandidaten für die Stadt des Evangelisten. Aber bei keiner von beiden fällt mir ein toter Wald ein.«
»Die Säulen …«, flüstere ich.
»Was?«
»Die Säulen des Forums. Du hast gesagt, Markus’ Haus stand vor dem Kapitol.«
»Es ist nur eine Annahme …«
»Die römischen Säulen des Forums könnten wie die Baumstämme eines toten Waldes aussehen.«
Bune zuckt mit den Schultern.
»Es gibt noch andere Möglichkeiten, ganz abgesehen von Antiochia oder Zypern, wo Markus im Lauf der Jahre predigte. Zum Beispiel Alexandria, wo er Bischof war und zum Märtyrer wurde. Außerdem Aquileia in Norditalien, wo er den ersten Bischof ernannte. Aber alles erscheint mir ein bisschen an den Haaren herbeigezogen.«
»Ich kann im Zusammenhang mit diesen Städten nirgends einen toten Wald erkennen.«
»Ich auch nicht. Und dann wäre da natürlich noch Venedig. Zwei Händler brachten die sterblichen Überreste des Markus im Jahr 828 dorthin.«
Ich schlage mir mit der flachen Hand auf die Stirn.
»Venedig, natürlich. Wieso habe ich nicht sofort daran gedacht?«
»Manchmal denkt man an das Offensichtliche zuletzt.«
»Aber in Venedig gibt es doch keine Bäume, oder? Auf den mir bekannten Fotos waren nur einige kleine Gärten zu erkennen, aber kein Wald.«
Erneut hebt und senkt Bune die Schultern. »Keine Ahnung. Bin nie in Venedig gewesen.«
»Ich auch nicht.«
»Vielleicht wurde dort ein früherer Wald überschwemmt. Oder er ist im nuklearen Feuer verbrannt. In der Nähe von Venedig gab es zahlreiche Chemiebetriebe. Ein gutes Ziel. Wenn auch vielleicht nur, um dem Feind eins auszuwischen.«
»Ja. Aber wenn wir nur wüssten, wer der Feind war …«
»Das werden wir nie erfahren.«
Eine Stimme hallt durch den Korridor.
Die Stimme von Hauptmann Durand.
»Karl, John! Kommt schnell!«
26
DIE FESTUNG
Aufregung herrscht in der Fahrerkabine des Lastwagens. Feldwebel Wenzel und die anderen Gardisten stehen etwa einem Dutzend Männern gegenüber, die schwarze Uniformen tragen, mit Erweiterungen an Schultern und Knien, wie die Polsterungen bei Footballspielern. Hinzu kommen Helme, die beim Super Bowl hätten verwendet werden können, wenn nicht Gasmasken daran gewesen wären. David Gottschall führt die Männer in Schwarz an. Er trägt die Rüstung, in der er in Urbino erschienen ist, als er uns gefangen genommen hat, geschmückt mit einem goldenen Kreuz, daran eines der Wesen mit den langen Armen.
Er wirkt jetzt noch eindrucksvoller darin. Unter dem Arm hält er einen der Helme, mit denen seine Soldaten ausgerüstet sind.
»Wo ist das Problem?«, fragt Durand, als er gefolgt von Bune und mir die Kabine betritt.
»Das Problem besteht darin, dass Ihr Feldwebel hier sich weigert, mir zu gehorchen.«
»Ich habe ihm gesagt, dass ich als Schweizergardist meine Befehle nur von dir empfange.«
»Welchen Befehl haben Sie ihm gegeben?«, fragt Durand den bärtigen Riesen.
Gottschall deutet mit dem Daumen über seine Schulter hinweg zum Fenster. Hinter dem Fahrersitz mit Caliban, der noch immer den Laster steuert, ist jenseits der Scheibe dichter Nebel zu sehen.
»Wir haben den Stadtrand von Rimini erreicht und sind unterwegs zur Festung.«
»Welcher Festung?«
Gottschall legt die Hände an die Hüften.
»Die Festung der Atheisten, die sich unserem Gott widersetzen!«
»Wenn es Atheisten sind … Wie können sie sich dann einem Gott widersetzen?«, fragt Bune.
Durand bringt ihn mit einer knappen Geste zum Schweigen.
Dann wendet er sich an Gottschall.
»Sie wollten uns nach Venedig bringen. Ich glaube nicht, dass wir das Ziel bereits erreicht haben.
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